Zürich – Die Eiskappen Grönlands erreichten 1997 einen «Wendepunkt», seit dann hat sich ihr Rückgang beschleunigt. Davor konnten die Eiskappen trotz Temperaturschwankungen ihre Masse beibehalten, indem sie genügend Schmelzwasser durch Wiedergefrieren absorbierten. Forschende der Universität Utrecht und der Universität Zürich zeigen, dass die oberflächennahen Schichten vor 20 Jahren mit wiedergefrorenem Schmelzwasser gesättigt wurden. So wurde der Mechanismus des Wiedergefrierens durchbrochen.
Die Eiskappen in den küstennahen Regionen Grönlands umfassen ca. 100’000 km2, was etwa zweieinhalb Mal der Fläche der Schweiz entspricht. Damit stellen sie eines der grössten vergletscherten Gebiete der Erde dar, abgesehen von den Eisschildern Grönlands und der Antarktis. Auf einer «gesunden» Eiskappe kann der sogenannte Firn – eine Dutzende Meter mächtige poröse oberflächennahe Schicht – sommerliches Schmelzwasser aufnehmen. Im Winter gefriert das absorbierte Wasser, so dass die Gesamtmasse von Jahr zu Jahr in etwa stabil bleibt. Allerdings haben steigende Temperaturen diesen Zyklus aus dem Gleichgewicht gebracht: Die Menge an Schmelzwasser wurde so gross, dass der Firn komplett mit wiedergefrorenem Schmelzwasser gesättigt ist. Dadurch kann neues Schmelzwasser nicht mehr vom Firn aufgenommen werden und fliesst in die Ozeane.
Eiskappen verlieren an Masse und Schmelzlinie steigt höher
Um eine genaue Vorstellung des Zustandes von Grönlands Eiskappen – die zahlreichen kleineren Eismassen in den küstennahen Regionen Grönlands – zu erhalten, konzentrierten sich die Forscher auf zwölf Gebiete rund um die Insel. In jedem dieser zwölf Gebiete haben die Eiskappen seit 1997 Eis verloren. Derzeit ist der jährliche Verlust an Eismasse dreimal so gross wie vor dem Jahre 1997.
Brice Noël, Doktorand an der Universität Utrecht und Erstautor der Studie, erwartet, dass der Abfluss von Schmelzwasser in den kommenden Jahren weiter steigen wird: «Da die Temperaturen mit der Höhe abnehmen, befinden sich die höchsten Eiskappen noch immer in einem relativ stabilen Zustand.» Allerdings dehnt sich die Schmelze in immer grössere Höhen aus, wo sich die ausgedehntesten Eismassen befinden. Der Eisschild im Inneren Grönlands ist deutlich höher und befindet sich in einem stabileren Zustand. Doch auch dort beobachten Klimaforscher eine Zunahme der Höhe der sogenannten Schmelzlinie.
Schmelzwasserabfluss ist verantwortlich für Eiskappenrückgang
Um die topographisch komplexen Eiskappen zu simulieren, wurde ein sehr detailliertes Modell entwickelt. Die Modellresultate wurden basierend auf einer neuen Datenbank historischer Messungen überprüft, die Horst Machguth von der Universität Zürich erstellt hat. «Die 3’000 historischen
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Messungen reichen bis ins Jahre 1892 zurück, als einige der frühesten glaziologischen Messungen auf Grönland durchgeführt wurden», sagt der Gletscherforscher Machguth. Mit dem kalibrierten Modell analysierten die Wissenschaftler eine Reihe von Parametern, um nicht nur den Massenverlust der Eiskappen aufzuzeigen, sondern auch die zugrunde liegenden Kausalitäten. Dank der im Vergleich zu früheren Modellrechnungen von elf auf ein Kilometer erhöhten Auflösung der Satellitenbilder konnte das Team zeigen, dass der Massenverlust direkt mit dem Schmelzwasserabfluss korreliert. Dieser wiederum wird stark durch die Temperaturerhöhung beeinflusst. (UZH/mc/ps)
Bis zu einem Viertel Massenverlust bis 2100
Etwa ein Drittel des heutigen Anstiegs des Meeresspiegels wird durch das Schmelzen von Grönlands Eis verursacht. Ein Szenario anhaltender globaler Erwärmung geht davon aus, dass die Eiskappen im küstennahen Bereich Grönlands bis zum Jahr 2100 einen Fünftel bis einen Viertel ihrer Masse verlieren. Dies allein würde einen Anstieg des Meeresspiegels um vier Zentimeter verursachen.
Literatur:
Brice Noël, W. J. van de Berg, S. Lhermitte, B. Wouters, H. Machguth, I. Howat, M. Citterio, G. Moholdt, J. T. M. Lenaerts & M. R. van den Broeke. A tipping point in refreezing accelerates mass loss of Greenland’s glaciers and ice caps. Nature Communications, 31 March 2017. doi:10.1038/NCOMMS14730
- Weitere Informationen: www.greenlandicecaps.org
- Universität Zürich