Grönlands Eisströme erhöhen den Meeresspiegel um 4 bis 8 cm
Blick zum Zungenende eines schnellfliessenden Eisstromes in Grönland. (Foto: Dirk van As, GEUS)
Zürich – Ein Grossteil des grönländischen Eisschildes fliesst über Eisströme ins Meer ab. Wie stark eine Zunahme dieses Eisabflusses den Meeresspiegel voraussichtlich ansteigen lässt, war bis anhin unsicher. Nun haben europäische Forschende mit Beteiligung eines Geografen der Universität Zürich zum ersten Mal den zukünftigen Massenverlust berechnet, den grönländische Eisströme verursachen werden. Demnach wird sich der Meeresspiegel um 4 bis 8 cm bis ins Jahr 2100 erhöhen. Das ist weniger im Vergleich zu früheren Schätzungen.
Das grönländische Eis wird jährlich weniger. Einerseits schmilzt es an der Oberfläche des Eisschildes, andererseits fliesst es über Eisströme schneller ab. Diese schnell fliessenden Gletscher liefern Inlandeis durch enge und tief eingeschnittene Fjorde direkt ins Meer, wo sie abbrechen und Eisberge entstehen – durch die sogenannte Eisbergkalbung. Nimmt dieses Kalben zu, beschleunigt sich das Fliesstempo eines Eisstroms. So gelangt mehr Eismasse ins Meer, wodurch sich der Meeresspiegel erhöht.
4 bis 8 cm höherer Meeresspiegel bis 2100
Inwiefern der dynamische Massenverlust, also der Abfluss der Eisströme und das Abbrechen von Eisbergen, in Zukunft den Meeresspiegel erhöht, war bis anhin unklar. Nun hat ein europäisches Forscherteam mit Beteiligung von Andreas Vieli, Professor für Geographie an der Universität Zürich, das Verhalten der vier grössten grönländischen Gletscher simuliert, die für rund einen Fünftel des Eisabflusses verantwortlich sind. Allein diese vier Gletscher verursachen jährlich 30 bis 50 Gigatonnen (bis zu 50 Kubikkilometer, km3) Eisverlust, wie die Forschenden anhand ihres neu entwickelten Computermodells schätzen. Das entspricht ein- bis zweimal dem Wasserabfluss des Rheins bei Basel während eines Jahres, oder der Hälfte des Wassers im Genfersee.
Für ganz Grönland berechnet, wird der dynamische Eisverlust den Meeresspiegel um vier bis acht Zentimeter bis ins Jahr 2100 erhöhen. Das kommt etwa dem Anteil gleich, der durch die Schmelze an der Oberfläche des Eischildes verursacht wird. «Unsere Werte für den dynamischen Massenverlust liegen tiefer als frühere Schätzungen von etwa zehn Zentimeter, die basierend auf heutigen Trends berechnet worden sind. Sie zeigen aber, dass die dynamischen Effekte nicht zu vernachlässigen sind», erklärt Andreas Vieli.
Eisabfluss durch Eisströme begrenzt
Die Simulationen zeigen weiter, dass das Fliessverhalten der Eisströme und der damit verbundene Massenverlust zeitlich stark schwanken kann, was die Forschenden durch Variationen in der Gletscherbetttiefe und -breite erklären. «Auffallend ist, dass über längere Zeiträume der dynamische Massenverlust gegen oben klar begrenzt zu sein scheint», sagt Andreas Vieli. Er erklärt dies mit der sehr kurzen Dauer von extremen Rückzugs- und Massenverlustereignissen.
Konkret heisst dies, dass Eisströme nicht fortgehend schneller fliessen können und deshalb die heutigen kurzzeitigen Beschleunigungstrends nicht in die Zukunft extrapoliert werden sollten. Vieli weist zudem darauf hin: «Die bei Eisströmen involvierten Prozesse, wie beispielsweise das Abbrechen von Eisbergen, sind sehr komplex und unser Verständnis davon noch immer beschränkt.» (Universität Zürich/mc/pg)