Zürich – Das Ost-Antarktische Eisschild scheint durch die Klimaerwärmung mehr gefährdet zu sein als bisher angenommen. Ein internationales Forschungsteam der Universitäten Durham und Zürich hat zum ersten Mal die langzeitliche Entwicklung von Auslassgletschern mittels Satellitenbildern untersucht. Dabei zeigte sich, dass Vorstoss und Rückzug der 175 untersuchten Gletscher eng mit den Klimaveränderungen zusammenhängen.
Auslassgletscher, schnell fliessende Gletscherströme, liefern Eis vom Innern des Eisschildes an die Küste, wo es in Form von Eisbergen ins Meer abbricht. Von 175 solchen Gletschern des Ost-Antarktischen Eisschildes entlang einer Küstenlänge von 5400 Kilometer wurden Satellitenbildern aus den letzten 50 Jahren untersucht. Sie zeigen Veränderungen der Zungenposition der Gletscher und synchrone Zeiträume von Vorstoss und Rückzug, welche mit Klimaschwankungen einhergehen. «Wir haben entdeckt, dass diese Auslassgletscher sehr schnell und direkt auf Schwankungen im Klima reagieren», erklärt Prof. Andreas Vieli von der Universität Zürich. «Das bedeutet, dass das Eisschild stärker einer Erwärmung des Klimas ausgesetzt ist als bisher angenommen.»
Drei klare Perioden mit klaren Tendenzen
Trotz grosser Unterschiede in der Längenänderung zwischen einzelnen Gletschern sind drei Perioden mit klaren Tendenzen sichtbar. In den 1970er und 80er Jahren sind die Gletscher unter wärmeren Lufttemperaturen im allgemeinen eher zurückgegangen (63 Prozent), während in den 1990er Jahren die meisten Gletscher unter einer Abkühlung vorgestossen sind (72 Prozent). Seit dem Jahr 2000 sind die Temperaturen und der Anteil von vorstossenden und sich zurückziehenden Gletschern eher ausgeglichen.
Eisschild galt als klima-unempfindlich
Das bis zu 4000 Meter dicke Ost-Antarktische Eisschild hat bisher als eher klima-unempfindlich gegolten. Der Grund dafür war, dass es in der Ostantarktis sehr kalt ist, die Lufttemperaturen liegen auch an der Küste meistens weit unter dem Gefrierpunkt, und deshalb tritt nur sehr selten Eisschmelze auf. Weiter war bekannt, dass solche Auslassgletscher regelmässige Zyklen durchlaufen, mit langzeitigen Vorstössen und schnellen Rückzügen durch einzelne grosse Abbruchereignisse von Eisbergen, welche im einzelnen vom Klima unabhängig erscheinen. «Das beobachtete synchrone Vorstoss- und Rückzugsverhalten der Gletscher, abhängig von den Schwankungen der Lufttemperatur, hat uns deshalb überrascht», sagt Prof. Vieli. Dieses synchrone Verhalten der Gletscher wurde erst klar sichtbar durch die grosse Anzahl untersuchter Gletscher und die Betrachtung von langen Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten.
Eine vertiefte Analyse von Klima- und Gletscherdaten hat dann gezeigt, dass nicht nur die Lufttemperatur die Gletscher beeinflusst. Vielmehr scheinen auch die Verbreitung des Meereises, die atmosphärische Zirkulation und die Ozeantemperatur eine Rolle zu spielen, welche alle im Klimasystem mit der Lufttemperatur gekoppelt sind. Die gesammelten Daten zeigen klar, dass in Zeiten von wärmeren Temperaturen und weniger Meereis mehr Eisberge abbrachen und sich die Gletscher dabei eher zurückgezogen haben; bei einer Abkühlung war das Meereis mehr verbreitet und die Gletscher sind tendenziell eher vorgestossen.
Weitere Studien notwendig
Die Resultate der Studie legen nahe, dass bei einer Klimaerwärmung die Auslassgletscher relativ schnell durch einen Rückzug reagieren könnten. Damit könnten sie über dynamische Rückkopplungseffekte, wie zur Zeit beobachtet in Grönland, auch das Inlandeis des Ost-Antarktischen Eisschildes angreifen. Dies ist insofern von Bedeutung, als ein hypothetisches totales Verschwinden dieses Eischildes den Meeresspiegel um mehr als 50 Meter ansteigen lassen würde. Die Forscher mahnen aber, ihre Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren und betonen, dass das Verhalten dieser Auslassgletscher im Zusammenhang mit dem Klima noch genauer untersucht und besser verstanden werden muss. (Universität Zürich/mc/pg)