München – Noch nie war die Menschheit so mobil, noch nie so vernetzt wie heute. Denn noch nie war das Reisen mit dem Flugzeug so selbstverständlich. Die Passagierzahlen steigen kontinuierlich an. Die zentrale Frage der kommenden Jahrzehnte wird daher lauten: Wie kann das Fliegen umweltfreundlicher werden und dabei gleichzeitig attraktiv für die Fluggäste sein sowie wirtschaftlich bleiben?
Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP forscht gemeinsam mit weiteren Fraunhofer-Instituten sowie Partnern aus der Luftfahrt im Rahmen unterschiedlicher Programme, wie der europäischen Technologieinitiative „Clean Sky“, an Lösungen für derartige Fragen. «Das Fliegen und damit die Luftfahrt gewinnt in unserer globalisierten Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Umso wichtiger ist es, sowohl der Ökologie als auch der Ökonomie, also der Ökolonomie, Rechnung zu tragen. Unter dem Gesichtspunkt forscht auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik an neuen Architekturen für Flugzeuge, damit diese umweltfreundlicher werden, ihren Passagieren aber gleichzeitig ein Maximum an Komfort und Leistung bieten», sagt John Cullen Simpson, Vorsitzender der Fraunhofer-Aviation Group.
Mehr Komfort durch individuelles Klima am Sitzplatz
Die Technologien, die den Komfort für Fluggäste optimieren sollen, entwickeln derzeit Forscher am Fraunhofer IBP in einem Konsortium – gemeinsam mit neun Partnern aus Hochschule und Luftfahrtindustrie – in dem EG-finanzierten Projekt „iSPACE“. Im Mittelpunkt steht das Raumklima in Flugzeugen, das häufig Quell von Beschwerden ist. Künftig sollen die Fluggäste ihr persönliches Raumklima einstellen und Temperatur sowie Luftzufuhr an ihr persönliches Empfinden anpassen können. Gemeinsam hat das Konsortium verschiedene Bausteine entwickelt: Befeuchtereinheiten sorgen für eine höhere Luftfeuchte; Technologien zur Luftreinigung filtern unerwünschte Stoffe aus der Luft; optimierte Luftauslässe lassen Frischluft einströmen, und die persönliche Wohlfühltemperatur können die Fluggäste über Sitzheizungen einstellen, wie man sie aus dem Auto kennt, sowie eine Sitzventilation, die die warme und feuchte Luft zwischen Körper und Sitz abzieht und den Sitz damit angenehm kühlt. Die Fraunhofer-Forscher haben sich vor allem der Zufuhr von frischer Luft gewidmet. Denn bislang können die Fluggäste nur einen Lufteinlass in der Decke selbst bedienen. Die Wissenschaftler haben nun andere Alternativen entwickelt: Sie integrieren Lufteinlässe in die Armlehnen des Sitzes, in die Rückenlehnen des Vordersitzes und in der ersten Klasse auch in die Schwanenhälse, in denen sich derzeit die Leseleuchten befinden.
Testflüge am Boden
An seinem Standort in Valley bei Holzkirchen verfügt das Fraunhofer IBP über eine weltweit einmalige Testeinrichtung, die „Flight Test Facility“ (FTF). In einer Niederdruckkammer befindet sich ein originales Flugzeugsegment mit rund 15 Meter Länge und Platz für bis zu 80 Probanden. Neben Untersuchungen zum Kabinenklima wird auch das Flugzeug als Gesamtsystem erforscht. Dabei werden beispielsweise Cockpit, Passagierkabine, Avionik und Frachtraum unter energetischen Aspekten und Nutzungsanforderungen betrachtet. Zudem ist das Fluglabor vor kurzem durch eine weitere einzigartige Testvorrichtung ergänzt worden. Die „Ground Thermal Test Bench“, ein thermischer Prüfstand, eröffnet den Wissenschaftlern und ihren Partnern aus der Industrie zusätzliche Forschungsfelder.
Vor dem Hintergrund der „all-electric“-Philosophie, das heisst dem zunehmenden Einsatz von Elektronik statt Hydraulik zur Steuerung sämtlicher Funktionen, sowie der Verwendung leichter Materialien in der Entwicklung neuer Flugzeuge spielt der Prüfstand eine wichtige Rolle bei der Simulation und Prüfung neuer Systeme unter thermischen Gesichtspunkten. Auch hier ist ein originaler Flugzeugrumpf im Einsatz, der – in drei typische Bereiche des Flugzeugs (Cockpit, Kabine und Heck) aufgeteilt – verschiedenste thermische Messungen ermöglicht. Ziel ist es, innovative Energiemanagementkonzepte zu entwickeln, zu validieren und schließlich zu demonstrieren.
Mithilfe der Ökobilanzierung zum ökologisch gerechten Design
Nachhaltigkeit spielt auch im Bereich der Luftfahrt eine zentrale Rolle. Diverse Studien zeigen, dass sowohl das Transport- als auch das Passagieraufkommen in den nächsten Jahren stark ansteigen werden. Um dennoch die Umweltwirkung zu reduzieren, ist es notwendig, neue und ökologischere Entwicklungen zu untersuchen sowie bestehende Prozesse zu optimieren. Aufbauend auf dem Lebenszyklusgedanken arbeitet das Fraunhofer IBP daher mit der Methode der Ökobilanzierung. Für die Beurteilung der Nachhaltigkeit sowie der Identifikation der systemrelevanten Einflussgrössen und Parameter eines Flugzeuges werden seine drei Lebenszyklusphasen (Entwicklung und Herstellung, Nutzung sowie Recycling bzw. Entsorgung) analysiert. Anwendungsfelder und Themenschwerpunkte finden sich in der Prozessanalyse und -optimierung, der Bewertung von Recyclingkonzepten, Zukunftstechnologien sowie der Bilanzierung von Gesamtflugzeugen und -systemen. Basierend auf den Ergebnissen der Ökobilanz lassen sich zudem zielgerichtete Massnahmen und Strategien zum ökologisch gerechten Design der betrachteten Systeme ableiten.
Mehr als nur Abfall: Am Ende des Lebenszyklus
Der Wiederverwertungsgedanke ist auch zentrales Element der Arbeit im Betonlabor des Fraunhofer IBP. Das Recycling ist eines der gravierenden Probleme in der Luftfahrtindustrie – bisher lassen sich ausrangierte Maschinen nämlich nur sehr schwer entsorgen. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler am Fraunhofer IBP derzeit an Lösungen zur Wiederverwertung von Flugzeugteilen und ihren Komponenten. So könnte sich Aluminiumabfall aus ausgemusterten Flugzeugen in Zukunft beispielsweise in antimikrobiell beschichteten Pflastersteinen wiederfinden. Derzeit wird hauptsächlich Kupferschlacke verwendet, um ungewollten Bewuchs auf Gehwegen, Einfahrten etc. zu verhindern. Ebenso gute Ergebnisse erzielt man mit Aluminiumabfall aus Flugzeugen, der dafür mit Säure vorbehandelt wird. Das dabei gewonnene Aluminiumfluoridhydrat wird gemeinsam mit Zement zur Beschichtung von Pflastersteinen verwendet und hat bisherigen Untersuchungen zufolge bereits in einer Konzentration von 0,1% sehr gute antimikrobielle Eigenschaften.
Neben Aluminiumschrott kommt in Zukunft auch verstärkt ein weiteres Abfallprodukt in der Luftfahrtindustrie hinzu: Im Flugzeugbau werden Metalle zunehmend durch Karbonfaser verstärkte Kunststoffe (CFKs) ersetzt, da sie bei geringerem Gewicht vergleichbare mechanische Eigenschaften aufweisen. Für ihre Wiederverwertung gibt es jedoch bislang noch keine wirtschaftlichen Lösungen. Derzeit werden CFKs entweder mit energieaufwendigen Prozessen, wie Hochtemperaturpyrolyse behandelt, oder mechanisch zerkleinert. Doch nur bei ersterem Verfahren ist die Wieder-gewinnung der Fasern möglich. Die Wissenschaftler des Fraunhofer IBP forschen deshalb an der Weiterentwicklung eines Verfahrens, das ursprünglich aus dem Bergbau kommt.
Die elektrodynamische Fragmentierung wird zum Beispiel zur Zerkleinerung von hochreinem Quarz für die Silizium-Wafer Industrie eingesetzt. Das Verfahren beruht auf dem Prinzip, dass ultrakurze Unterwasserimpulse Festkörper selektiv fragmentieren, indem die Blitz-entladungen bevorzugt entlang von Phasengrenzen verlaufen. Ein elektrischer Blitzschlag erzeugt dabei Druckwellen mit einer Sprengwirkung einer TNT-Explosion, wodurch das Verbundmaterial in seine Komponenten zerlegt wird. Die Fasern können so also erhalten bleiben und wiederverwendet werden. Gleichzeitig ist der Energieaufwand deutlich geringer als bei anderen Methoden, die den Fasererhalt ermöglichen. Noch steht das Verfahren in diesem neuen Anwendungsfeld am Anfang, doch arbeiten die Fraunhofer-Forscher intensiv an seiner Weiterentwicklung, um auch die Recycelbarkeit von Karbonfaser verstärkten Kunststoffen und deren Wirtschaftlichkeit voranzutreiben. Denn auch hier steht die Frage der Ökolonomie an vorderster Stelle. (Fraunhofer/mc/pg)