Prof. Martin Schwab, Co-Direktor des Instituts für Hirnforschung an der Universität Zürich.
Zürich – Nach einem Schlaganfall leiden die Betroffenen oft unter schweren Störungen ihrer Bewegungen. Forschende des Instituts für Hirnforschung der Universität Zürich entdecken nun, dass der Hirnstamm bei der Regeneration der motorischen Fähigkeiten eine wesentliche Rolle spielen könnte: Durch das Auswachsen von Nervenzellen aus diesem Gehirnareal ins Rückenmark werden die für die Bewegung nötigen Nervenimpulse umgeleitet.
Rund 16’000 Personen in der Schweiz erleiden jährlich einen Schlaganfall. Durch einen plötzlichen Verschluss eines hirnversorgenden Gefässes verursacht, ist er die häufigste lebensbedrohliche neurologische Erkrankung, die für Überlebende meistens tiefgreifende Folgen hat: Oftmals müssen die Betroffenen mit Behinderungen zurecht kommen und eine Rehabilitation dauert lange. Das Gehirn hat aber grundsätzlich eine «hohe Regenerationsfähigkeit», wie Lukas Bachmann vom Institut für Hirnforschung der Universität Zürich erklärt. Er hat in der Forschungsgruppe um Prof. Martin Schwab herausgefunden, dass bei der Regeneration der motorischen Fähigkeiten auch der Hirnstamm, das älteste Areal des Gehirns, eine wichtige Rolle spielen könnte. Die Resultate sind nun im «The Journal of Neuroscience» publiziert.
Gesunde Gehirnhälfte übernimmt Kontrolle
Ein Schlaganfall in der Grosshirnrinde führt häufig zu starken motorischen Einschränkungen einer Körperhälfte, der sogenannten Hemiparese. Grund dafür ist der Verlust der Nervenbahnen, welche Signale von der Grosshirnrinde ins Rückenmark leiten. Da diese Bahnen übers Kreuz verlaufen, ist jeweils diejenige Körperhälfte betroffen, die der betroffenen Gehirnhälfte gegenüberliegt. Die anfänglich starken Beeinträchtigungen bestehen aber oftmals nur vorübergehend, und die Patienten können sich auf erstaunliche Weise erholen: «Die betroffene Körperhälfte wird immer stärker von der gleichseitigen Hälfte der Grosshirnrinde, also der gesunden Seite, kontrolliert», erklärt Lukas Bachmann. Da die Nervenbahnen übers Kreuz verlaufen, stellte sich den Neurowissenschaftlern die Frage, auf welchem Weg die Signale aus der motorischen Grosshirnrinde in die gleichseitigen Teile des Rückenmarks umgeleitet werden.
Aussprossung von Nervenzellen aus dem Hirnstamm
In ihrer Studie an Mäusen können die Forschenden um Martin Schwab nun zeigen, dass der Hirnstamm vermutlich eine Schlüsselrolle bei dieser Umleitung der Nervenimpulse spielt. Bildaufnahmen des Gehirns machen sichtbar, dass nach einem grossen Schlaganfall Nervenfasern aus spezifischen Kerngebieten des Hirnstamms in das Areal des Rückenmarks hineinwuchsen, welches nach dem Schlaganfall seine Inputfähigkeit verloren hatte. «Gleichzeitig sprossen vermehrt Nervenfasern aus der intakten Grosshirnrinde in eben diese Gebiete des Hirnstammes», führt Lukas Bachmann aus. Diese Veränderungen in den neuronalen Schaltkreisen erlauben womöglich den ungekreuzten Fluss von Nervenimpulsen nach einem Schlaganfall. «Dies könnte sich als entscheidender Mechanismus herausstellen, der die Erholung von bestimmten Bewegungen nach einem Schlaganfall ermöglicht», so der Hirnforscher. Diese Erkenntnisse wollen die Wissenschaftler nun dazu nutzen, mit gezielten Therapieansätzen die Aussprossung von Nervenzellen in verschiedenen Gehirnarealen so zu steuern, dass eine Erholung von motorischen Funktionen maximiert werden kann. (Universität Zürich/mc/ps)
Literatur:
Lukas C. Bachmann, Nicolas T. Lindau, Petra Felder, Martin E. Schwab: Sprouting of Brainstem – Spinal Tracts in Response to Unilateral Motor Cortex Stroke in Mice. The Journal of Neuroscience, February 25, 2014. Doi:10.1523/JNEUROSCI.4384-13.2014