David Sander. (Foto: Valérie Chételat)
Zürich – David Sander forscht auf dem Gebiet der affektiven Wissenschaften. Dieses Gebiet verbindet verschiedene Disziplinen, die sich mit Gefühlen beschäftigen: Humanwissenschaften, Neurowissenschaften, Informatik, Recht, Wirtschaft und Psychologie. Als Verfechter eines multidisziplinären Ansatzes ist er davon überzeugt, dass die konzeptuellen Analysen der Philosophie die psychologische Forschung ebenso bereichern können wie das Verständnis neuronaler Mechanismen.
Er betrachtet die bildgebenden Verfahren, die Psychophysiologie, die funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT), die Olfaktometrie und die virtuelle Realität als «Verbündete», die es erlauben, mehr über den menschlichen Geist zu erfahren. Für seine Forschungen wird ihm der Nationale Latsis-Preis 2013 verliehen.
Psychologie und Mathematik
Der leidenschaftliche Experimentator ist Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) «Affektive Wissenschaften» und des interfakultären Zentrums für affektive Wissenschaften an der Universität Genf. Dieses verfügt über ein Labor, in dem komplexe Experimente über Emotionen und deren Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen – wie das Treffen von Entscheidungen, das Gedächtnis oder die Aufmerksamkeit – durchgeführt werden können.
David Sander ist über die kognitiven Wissenschaften zur Erforschung der Emotionen gelangt. Nachdem er in Paris das Studium der Psychologie und der angewandten Mathematik in Angriff genommen hatte, machte er sich 1996 nach Lyon auf, wo gerade ein Studiengang in kognitiven Wissenschaften eröffnet worden war. Schon bald begann Sander, seine frisch erworbenen Kenntnisse auf die Erforschung von Emotionen anzuwenden. Sein Ziel: Durch Anwendung verschiedener Ansätze Mechanismen zu identifizieren, welche die Gefühle steuern, und daraus Gesetzmässigkeiten abzuleiten.
Eine kleine Revolution
David Sander interessiert sich insbesondere für den Evaluierungsprozess, mit dem wir den affektiven Wert von Ereignissen einschätzen. Im Jahr 2003 löste er mit der Veröffentlichung eines Artikels, der die bis dahin angenommene Funktion der Amygdala in Frage stellte, eine kleine Revolution aus. Gegen die vorherrschende Lehrmeinung, dass diese mandelförmige Hirnstruktur als «Angstzentrum» fungiert, vertritt David Sander die Hypothese, dass die Amygdala eine sehr viel umfangreichere Funktion hat: Ihm zufolge bewertet sie die Relevanz von Ereignissen und informiert uns darüber, was im Hinblick auf unsere Ziele, unsere Werte und unser momentanes Wohlbefinden wichtig ist. Mit seiner Hypothese zur Amygdala stellt David Sander die Emotionen in einen grösseren Zusammenhang, «in das Herz des Geistes», wie er zu sagen pflegt.
Mehrgleisiger Ansatz
2013 hat David Sander an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf eine Stelle als ordentlicher Professor angetreten. Er hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht, darunter auch ein populärwissenschaftliches Buch für Kinder, das sich mit Gefühlen auseinandersetzt. Gegenwärtig untersucht er mit seinen Kollegen fünf Komponenten, die allen Gefühlen gemeinsam sind: die physiologische Reaktion, die Tendenz zur Aktion, die Evaluation, den Ausdruck (Gesicht, Stimme und Körper) und das subjektive Empfinden. Die Projekte befassen sich beispielsweise damit, wie Emotionen durch Hirnprozesse gesteuert, durch Gerüche ausgelöst oder durch soziale Faktoren beeinflusst werden. (SNF/mc/pg)