Immunsystem schickt Schwächlinge in den Tod
Für Gewebezellen gilt das «Survival of the fittest»-Prinzip. (Bild: mikroskopische Aufnahme von Gewebezellen)
Zürich – Im Wettbewerb der Zellen gewinnen immer die Stärkeren, die Schwächeren werden zum Absterben gebracht. Molekularbiologen der Universität Zürich und der Columbia University zeigen nun, dass bei diesem wichtigen Mechanismus das angeborene Immunsystem die Schlüsselrolle spielt. Krebszellen machen sich dies aber ebenfalls zunutze: Sie können leistungsstarke, für gesundes Gewebe wichtige Zellen zum Sterben bringen.
Fit ist, wer rasch wächst und sich schnell teilt – für Gewebezellen gilt das «Survival of the fittest»-Prinzip: Selbst gesunde, lebensfähige Zellen, die weniger leistungsfähig als ihre Nachbarn sind, sterben ab. Dieser Selektionsmechanismus findet allerdings nur statt, wenn in einem Gewebe Zellen von unterschiedlicher Leistungsfähigkeit vorhanden sind. Besteht ein Gewebe nur aus leistungsschwachen Zellen, bleibt der Verdrängungskampf, der für die Gesundheit des Gewebes wichtig ist, aus. Molekularbiologen der Universität Zürich und der Columbia University können als erste Forschende in einer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie zeigen, dass dieser zelluläre Selektionsprozess über das angeborene Immunsystem abläuft.
Angeborenes Immunsystem erkennt schwächere Zellen
Anhand von Fruchtfliegen-Gewebezellen zeigen die Forscher, dass in diesem Selektionsprozess in den schwächeren Zellen das Selbstabschalt-Programm, das jeder Zelle eigen ist, aktiviert wird. In Gang gesetzt wird dieser programmierte Zelltod über das Signalprotein «Spätzle», das an einen bestimmten Rezeptor an der Zelloberfläche andockt. Der so genannte TR-Rezeptor ist Bestandteil des angeborenen Immunsystems, wie die Forschenden des Instituts für Molekulare Biologie der UZH nun nachweisen. Normalerweise wird der Rezeptor für das Auslösen einer Reaktion des Immunsystems auf einen Bakterien-oder Pilzbefall genutzt – aber offenbar auch für den Start des programmierten Zelltodes: «Weniger leistungsfähige Zellen werden mit Hilfe des im angeborenen Immunsystem vorhandenen Kommunikationskanals erkannt und eliminiert», erklärt Erstautorin Stefanie Meyer das erstaunliche Phänomen. Gemäss Prof. Konrad Basler ist jedoch noch unklar, ob das primäre Abschaltsignal von den starken Gewinner-oder von den schwachen Verliererzellen stammt. «Wir wissen also noch nicht, ob es sich um einen freiwilligen oder einen forcierten Freitod der leistungsschwächeren Zellen handelt.»
Wenn die Falschen gewinnen
Der gleiche Abschaltprozess von Zellen findet statt, wenn Krebszellen in die Interaktionen und Kommunikation zwischen den Zellen involviert sind. Allerdings sind es in diesem Fall die gesunden und fitten Gewebezellen, die punkto Leistung ins Hintertreffen geraten und in der Folge über den Abschalt-Mechanismus dem Tod geweiht sind. «Krebszellen machen sich das angeborene Immunsystem zu Nutze und verdrängen so die gesunden Zellen», fasst Laura Johnston von der Columbia University zusammen. Diese neuen Erkenntnisse sind insbesondere für die Krebsforschung und die Früherkennung von Krebs von grossem Interesse. Gemäss den Forschenden könnte in Zukunft womöglich das angeborene Immunsystem dazu genutzt werden, schneller wachsende, aber noch nicht bösartige Zellen vor der eigentlichen Tumorbildung zu identifizieren – und die Krankheit in einem Frühstadium entsprechend rasch zu bekämpfen. (Universität Zürich/mc/ps)
Literatur:
Stefanie Meyer, Marc Amoyel, Cora Bergantinos, Claire de la Cova, Claus Schertel, Konrad Basler Laura Johnston, An ancient defense system operates in cell competition to eliminate unfit cells from developing tissues. Science. Dezember 4, 2014. doi:10.1126/science.1258236