Innovationen machen altes Wissen nicht überflüssig
Philiosoph Odo Marquard.
Bonn – Der hohe Grad an Technologisierung nimmt zwar immer mehr händische Arbeit ab, macht grundlegendes technisches Wissen über Abläufe, die sich bewährt haben, jedoch nicht obsolet, wie der Philosoph Odo Marquard in seinem jüngst erschienenen Essay «Zukunft braucht Herkunft» feststellt. Die «moderne Wandlungsbeschleunigung», so Marquard, würde selber in den Dienst der Langsamkeit treten. Gerade die neuesten Technologien benötigen daher alte Fertigkeiten und Gewohnheiten.
Kundenservice als Beispiel
«Wir werden künftig mitnichten dauernd vorm Bildschirm sitzen, sondern – je mehr datenspendende Schirme flimmern – wir werden fern vom Bildschirm im kleinen oder grossen Gesprächskreis mündlich jenes Wenige besprechend ermitteln, was von dieser flimmernden Datenflut wichtig und richtig ist», schreibt Marquard. So bleiben die schnellen Informationsmedien zähmbar und in der Reichweite der langsamen Menschen. Auch die neue Welt komme ohne die alten Fähigkeiten nicht aus. Jedes Medium rücke verdrängte Effekte oder Eigenschaften wieder in den Vordergrund.
Die Renaissance der Verschriftung im Kundenservice bestätigt das. Wo Call-Center-Anbieter vom Markt verschwinden und in die Insolvenz getrieben werden, entdeckt man alte Fähigkeiten mit überraschenden Vorteilen wieder. Die Kundenanfrage über eine Hotline ist anonym und garantiert nicht, am Ende auf den richtigen Experten zu treffen. Läuft die gleiche Anfrage in schriftlicher Form über Twitter, Facebook oder über eine Online-Community, dann kann sie hingegen gesichtet und gezielt an den Spezialisten weitergegeben werden.
Altes Ingenieurswissen gefragt
Selbst beim Umgang mit Datenbanken ist altes Können gefragt. Egal wo Daten abgelegt und organisiert werden: In Fragen der Systemsoftware braucht man immer noch Kenntnisse der alten Programmiersprachen, um die Migration der Daten in andere Umgebungen erfolgreich abzuschliessen. Auch die radikale Umstellung und Konvergenz von Fernsehen, Telefon, Videokonferenzen oder Musikdiensten auf das Internet-Protokoll ist kein profaner Vorgang, der ein- und ausgeschaltet werden kann wie ein Lichtschalter.
Der Netzwerkspezialist Bernd Stahl von Nash Technologies bestätigt im Gespräch mit pressetext, dass altes Ingenieurswissen nach wie vor gefragt ist, um technisches Funktionieren sicherzustellen. Sogenannte All-IP-Netze beispielsweise benötigen einen sanften Übergang von der alten analogen in die digitale Welt. «Um das zu realisieren, muss man beide Welten gut verstehen. Entsprechend ist auch das alte Systemwissen der Telekommunikation mehr denn je gefragt, wenn es um Ausfallsicherheit und dergleichen mehr geht», so Stahl abschliessend. (pte/mc/ps)