Ist das Ende der tiefen Zinsen gekommen?
Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Letzte Woche sind die Zinsen steil nach oben geschnellt. Die Rendite der 10‐jährigen Eidgenossen‐Anleihe ist von ‐0.10% auf +0.16% gestiegen. Die Rendite der 10‐jährigen deutschen Bundesanleihe stieg um 0.50%. Diejenige der langen Anleihe Deutschlands mit einer Laufzeit von 30 Jahren sprang gar um ganze 0.80% nach oben, was einem Kursverlust von 16% entspricht. Die Rendite der italienischen Obligation stieg auf 1.90%, bevor am Freitag eine starke Gegenbewegung nach unten eintrat. War das die schon oft beschworene Zinswende oder nur eine kleines Zwischenspiel auf dem scheinbar unaufhörlichen Weg zu immer tieferen Zinsen?
Die Zinsen wurden in den letzten Monaten zu stark nach unten gedrückt. Eine um sich greifende Deflationsphobie und die darauf folgende Erwartung, dass die Zentralbanken die Zinsen immer weiter senken werden, hat die Spekulation auf immer weiter steigende Obligationenpreise angeheizt. Die EZB und Mario Draghi haben diese Spekulation mit immer neuen Warnungen vor einer Deflation und Ankündigungen von noch mehr Geld zusätzlich angeheizt. Die Rendite der deutschen Bundesanleihe ist so seit Anfang 2014 von 2.00% bis auf 0.07% gesunken, und das bei einer gut laufenden Wirtschaft. Noch stärker sanken die Renditen der Anleihen aus den europäischen Schuldenländern wie Italien, Spanien oder Portugal.
Korrektur von Übertreibungen
Den Zinssprung der letzten Woche darf man nicht überbewerten. Einige Investoren, die auf die «todsichere Wette» EZB gesetzt hatten, haben offenbar kalte Füsse bekommen und ihre Positionen aufgelöst, als die Märkte am Dienstag plötzlich verrückt spielten. Der Zinsanstieg war denn auch in denjenigen Marktsegmenten besonders gross, für welche Futures‐Kontrakte bestehen. Diese Kapitulations‐Trades sind auf eine nichtexistente Nachfrage gestossen und haben einen «Short‐Squeeze» ausgelöst. Positionen, die immer grössere Verluste provozierten, mussten nun zu jedem Preis abgestossen werden. Am Freitag hat sich der Markt nach den positiven Arbeitsmarktzahlen in den USA wieder normalisiert und ein Teil der vorhergehenden kurzfristigen Übertreibung wurde wieder korrigiert.
Das heisst aber nicht, dass der alte Trott mit immer weiter sinkenden Zinsen weitergeht. Der Hype um das EZB‐Kaufprogramm von Staatsanleihen hat die Renditen in der Eurozone und im Schlepptau davon auch in der Schweiz zu tief nach unten gedrückt. Als das Programm Mitte März gestartet wurde und damit aus den Schlagzeilen verschwand, hat der Trade «Long Euro Bonds» sichtlich an Attraktivität eingebüsst. Auch die Deflationsdiskussion hat an Dynamik und Argumenten verloren, seit der Erdölpreis 30% gestiegen ist. Vielmehr macht bereits das Wort «Tapering in der Eurozone» bei den Brokern und Finanzmedien die Runden, d.h. die Frage, wann die EZB ihr laufendes Kaufprogramm kürzen wird. Das scheint uns übertrieben, da das Programm seine geplante Wirkung in seiner kurzen Laufzeit ja noch gar nicht entfalten konnte. Es wäre falsch und nicht überzeugend, wenn die EZB jetzt schon wieder daran schrauben würde.
Tatsache ist aber, dass die Zinsen in Europa heute zu tief sind, da weder eine Deflation noch eine tiefe Rezession herrscht oder bevorsteht. Die Inflationsraten werden ab dem Herbst wieder steigen, wenn die Ölpreissenkung vom letzten Jahr aus der Statistik verschwindet. Die vorlaufenden Wirtschaftsindikatoren zeigen eine zaghafte aber doch an Breite gewinnende Erholung der Konjunktur an.
Zinstief liegt hinter uns
Wenn die Situation in Griechenland nicht völlig ausser Kontrolle gerät, haben wir im März das Tief bei den europäischen Zinsen gesehen. Davon auszugehen, dass jetzt die Renditen sofort weiter stark ansteigen werden, ist aber verfehlt. Die expansive Geldpolitik der EZB wird weitergehen. Das QE‐Programm wird mindestens bis Mitte 2016 weitergeführt und von einem Anstieg der Leitzinsen sind wir noch weiter entfernt. Zwar werden höhere Zinsen in den USA im Vorfeld der ersten Zinserhöhungen der Fed im Herbst auch die europäischen Renditen nach oben ziehen. Bis die deutsche Bundesanleihe wieder 2.00% oder die 10‐jährige Eidgenossen‐Obligationen wenigsten wieder 1.00% abwirft, werden noch viele «Investment Views» geschrieben werden.
Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.