Von Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price
Weitere Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar bis Jahresende erwartet.
In Jackson Hole hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde erneut betont, dass die EZB datengetrieben agieren muss. Diese Botschaft wurde heute von EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabl bekräftigt. Bisher deuten die realwirtschaftlichen Daten für August auf eine Zinspause hin, besonders spricht der starke Rückgang des Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor dafür.
Die heute veröffentlichten Inflationsdaten für August bestätigen diese Einschätzung. Die Gesamtinflation ist im August nicht weiter gesunken. Dies ist jedoch auf den Energiepreiseffekt zurückzuführen. Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihrer Rede in Jackson Hole betonte, ist für die unmittelbare Entscheidung der EZB vor allem die Kerninflation von Bedeutung. Die VPI-Kerninflation in der Eurozone sank von 5,5 im Juli auf 5,3 im August und entsprach damit den Konsenserwartungen. Von Bedeutung ist, dass die Dynamik der von Eurostat gemessenen Dienstleistungsinflation deutlich nachgelassen hat: Die saisonbereinigte Inflationsrate im Dienstleistungssektor sank auf 0,19 % (Juli: 0,6 %). Im Jahresvergleich zeigt sich nun, dass der Juli der Höhepunkt der HVPI-Inflation im Dienstleistungssektor war. Während sich die HVPI-Inflation im Dienstleistungssektor weiterhin auf einem sehr hohen Niveau befindet, zeigen die Daten nun, dass sie sich in die richtige Richtung bewegt. Die Entscheidung der EZB im September wird sehr ausgewogen ausfallen. Die heutige Veröffentlichung der Inflationsdaten hat unserer Meinung nach die Wahrscheinlichkeit einer Zinspause im September auf 60% erhöht. Ich hatte zuvor für eine Zinserhöhung argumentiert, glaube aber, dass die heutigen Daten der EZB einen gewissen Spielraum geben.
Die Diskrepanz zwischen der Politik der EZB und der Federal Reserve wird einen schwächeren Euro zum Jahresende unterstützen. In Jackson Hole hat der US-Notenbankchef Jerome Powell signalisiert, dass die Fed die Zinsen weiter anheben muss, wenn sich die Wirtschaft nicht verlangsamt, da dies das Risiko erhöht, dass die Inflation über dem Ziel der Fed von 2 % bleibt. Im Gegensatz zur starken Wirtschaftsleistung in den USA gibt es in der Eurozone zahlreiche Anzeichen für eine bevorstehende Rezession. Diese unterschiedliche Entwicklung der Realwirtschaft und die Auswirkungen auf die Geldpolitik, insbesondere die Frage, ob die EZB die Leitzinsen auf diesem Niveau halten kann, werden die Märkte wahrscheinlich dazu veranlassen, den Euro gegenüber dem US-Dollar niedriger zu bewerten. Meines Erachtens ist ein EUR/USD-Kurs von 1,05 zum Jahresende aufgrund dieser Unterschiede in der Realwirtschaft und der wahrscheinlichen künftigen Änderungen der Marktmeinungen zur Geldpolitik möglich.