von Christoph Erni, Gründer und CEO der Juice Technology AG
Joe Biden ist mit hohem Tempo durchgestartet. Kaum im Amt macht der neue US-Präsident Nägel mit Köpfen, tritt wieder dem Pariser Klimaabkommen bei und erlässt dutzendfach Beschlüsse zu Abgasvorschriften, Umweltstandards, zur Förderung erneuerbarer Energien und der Elektromobilität. Mit diesem Kurswechsel gegenüber seinem Amtsvorgänger Trump setzt er nicht nur Zeichen, sondern schlägt Pflöcke ein für einen wirtschaftlichen Wandel im Sinne eines Green New Deal.
Die in der aktuellen Krise arg gebeutelte Wirtschaft benötigt dringend neue Impulse – gerade im Energiesektor. Viele Kohlekraftwerke gingen in den letzten Jahren pleite und das kostenintensive Fracking ist wegen des tiefen Öl- und Gaspreises auch nicht mehr rentabel genug. Da macht die bisherige staatliche Subventionierung der fossilen Energie wenig Sinn, erhält sie doch auf Dauer keine Arbeitsplätze. Statt also weitere 40 Milliarden US-Dollar in eine sterbende Branche zu stecken, sollen die Fördermittel in die Umstellung hin zu einer klimaneutralen Energieerzeugung fliessen, die nach Bidens Plänen bis 2035 abgeschlossen sein soll.
Dieser Weg kann sowohl die Wirtschaft als auch den Mobilitätsumstieg positiv beeinflussen. Während die drei grossen Automobilhersteller in den USA – General Motors (GM), Ford und Fiat-Chrysler (Stellantis) – schon vor der Krise Absatzverluste von gegen zehn Prozent verzeichneten, hat selbst die von Trump initiierte Lockerung der unter Obama gesenkten Emissionsgrenzwerte nicht geholfen, die Automobilbranche zu stabilisieren. Im Gegenteil: Er hat den Autobauern damit einen Bärendienst erwiesen. Denn während die Nachfrage nach neuen Antrieben steigt, hinken sie der Entwicklung hinterher. Einzig GM hat die Zeichen der Zeit erkannt und begann die Produktion bereits 2010 auf elektrische Fahrzeuge umzustellen. Nun verkündete das Unternehmen bis 2035 den kompletten Umstieg auf Elektrofahrzeuge zu vollziehen.
Biden will die Umstellung auf klimafreundliche Antriebsarten mit Verschärfungen von Abgasvorschriften, Abwrackprämien und Steuergutschriften beschleunigen. Auch in Forschung und Entwicklung im Bereich der Speichertechnik und des autonomen Fahrens will die neue Administration kräftig investieren. Um dem Bestreben einen Vorbildcharakter zu verleihen, soll auf Bundesebene die gesamte Dienstwagenflotte durch Elektroautos ersetzt werden. Dabei will man vollumfänglich auf heimische Produktion setzen. Nehmen sich die Bundesstaaten und Firmen mit grossen Fahrzeugflotten ein Beispiel daran, wird das Credo «America First» doch noch umgesetzt – nur anders als gedacht. Um diesen Grossauftrag buhlt nebst Tesla und GM auch der Volkswagen-Konzern, der ab 2022 in seinem neuen Werk in den USA den Stromer ID.4 produziert.
Umfassende Ladeinfrastruktur ist ausschlaggebend beim Mobilitätsumstieg
Was es dann für eine Elektrifizierung des Strassenverkehrs noch braucht, sind Lademöglichkeiten. Im Augenblick stehen den E-Autofahrern in den USA landesweit lediglich rund 27.000 Stationen zur Verfügung, wovon ein Grossteil im Bundesstaat Kalifornien zu finden ist. Das ist recht mager: Allein Deutschland hat mit einem Achtel des Strassennetzes der USA schon bald 22.000 Ladestationen. Bidens Plan sieht zwar vor, bis 2030 550.000 Ladestationen landesweit aufzubauen, was bei einem der längsten Strassennetze der Welt jedoch eher ein Tropfen auf den heissen Stein ist.
Es muss ohnehin ein grundsätzliches Umdenken stattfinden: Ein E-Auto wird in der Regel dann geladen, wenn es sowieso längere Zeit steht – etwa zu Hause oder am Arbeitsplatz. Der Strom hierfür ist bereits vorhanden, er muss nur zugänglich gemacht werden. Im besten Fall mit mobilen Wallboxen, die man sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz anstecken und bei Bedarf auch unterwegs jederzeit flexibel nutzen kann. Das Laden an öffentlichen Stationen oder Schnellladern ist nur für Berufs- und Vielfahrer wirklich relevant, weshalb es sich künftig auf Verkehrsknotenpunkte und Autobahnen fokussieren wird.
Die Chance für europäische Hersteller
Die Elektromobilität hat seit dem Markteintritt Teslas vor acht Jahren in Europa rasant zugenommen und ist wesentlich stärker gewachsen als in den USA. Europäische Hersteller haben entsprechend einen Erfahrungsvorsprung, den sie sich nun zunutze machen können. Natürlich gibt es immer länderspezifische Anforderungen und Bedürfnisse, doch das bereits gesammelte Know-how und die Verfügbarkeit bereits erfolgreich erprobter Mobilitätskonzepte und Produkte, könnte ihnen den Eintritt in den amerikanischen Markt nun vereinfachen.