Zürich – Exoplaneten-Forscher und Kosmologen der ETH Zürich haben ein Objekt entdeckt, bei dem es sich um einen Planeten in Entstehung handeln könnte. Es wäre das erste Mal, dass es Wissenschaftlern gelingt, diesen Vorgang zu beobachten.
Er ist so etwas wie ein Star bei den Astronomen: der Stern HD 100546. Er ist rund 337 Lichtjahre von der Erde entfernt, sichtbar am Südhimmel im Sternbild der Fliege und erst wenige Millionen Jahre alt. Was ihn aber so besonders macht, ist seine zirkumstellare Scheibe. In solchen Scheiben, die sich um alle jungen Sternen bilden, sammeln sich Gas und Staub. So viel man weiss, sind sie der Geburtsort von Planeten. Typischerweise haben zirkumstellare Scheiben einen Durchmesser von 200 AU (1 AU entspricht etwa dem mittleren Abstand zwischen Erde und Sonne – also rund 150 Mio. km). Die Scheibe von HD 100546 ist mit etwa 700 AU riesig und deshalb sehr gut mit Teleskopen zu beobachten.
Vermutlich erstmals ein sogenannter Proplanet entdeckt
In dieser Scheibe haben nun Forschende vom Institut für Astronomie der ETH Zürich vermutlich erstmals einen sogenannten Protoplaneten entdeckt, also einen Planeten, der im Entstehen ist. Für ihre Beobachtungen haben sie das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) verwendet und publizieren diese jetzt im Fachmagazin The Astrophysical Journal Letters.
Berechnete Masse ist zu gross
Obwohl die Scheibe um HD100546 zu den bekanntesten und meist beobachteten gehört, haben die ETH-Wissenschaftler erst vor etwa zwei Jahren erkannt, dass die Scheibe ungewöhnliche Asymmetrien aufweist. Daraufhin verwendeten die Forscher die von ihnen entwickelte Optik namens Apodizing Phase Plate (APP), um die Asymmetrien genauer zu untersuchen. Dabei konnten die Forscher eine Punktquelle bei etwa 70 AU verorten. Mit Modellen berechneten sie die Masse des Objekts. «Die berechnete Masse des Planeten würde ungefähr 20 mal der Masse des Jupiters entsprechen», meint Sascha Quanz, Postdoc am Institut für Astronomie und Erstautor des Papers.
Das Problem: Wäre dieser Planet tatsächlich so gross, dann müsste die zirkumstellare Scheibe von HD 100546 an vielen Stellen grosse Lücken aufweisen, weil sich der Planet im Laufe der Zeit schon einiges Material einverleibt hat. Diese Lücken existieren aber nicht, weshalb die Forscher in ihrer Publikation zwei Thesen diskutieren: Entweder ist der Planet viel masseärmer, was bedeuten würde, dass es sich um einen Protoplaneten handelt oder der Planet ist weiter innen in der Scheibe entstanden und wurde herausgeschleudert.
These 1: Eine Sensation
Je jünger ein Planet ist, desto heller und heisser ist er, weil er immer noch aktiv Masse aufnimmt und verdichtet. Die Helligkeit des entdeckten Planeten deutet darauf hin, dass er immer noch wächst. Mit andern Worten: Der Planet strahlt zwar wie ein grosses, massenreiches Objekt, weil er aber nicht so gross sein kann, liegt die Vermutung nahe, dass er sehr jung sein muss. Bestätigt sich die These, dass es sich um einen Protoplaneten handelt, dürfte er erst ein paar 100‘000 Jahre alt sein. «Es gibt Modelle, die vorhersagen, wie sich die Helligkeit eines Protoplaneten entwickelt. Unsere Beobachtungen stimmen sehr gut mit diesen Modellen überein, was ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser These ist», erklärt Quanz. Die Entdeckung eines jungen Protoplaneten wäre eine Sensation. Zum ersten Mal könnten Astronomen einen Planeten dabei be-obachten, wie er entsteht. Damit wären viele Theorien und Modelle, die seit langem existieren, endlich an einem konkreten Objekt überprüfbar.
These 2: Konkurrenz-Planet vorerst unsichtbar
Bei der zweiten These könnte der Planet aus dem inneren Bereich der Scheibe stammen. Man vermutet, dass beim Stern HD 100546 innerhalb den ersten 10 AU auch noch ein weiterer Planet existieren könnte. «Wenn dem so wäre, könnte es sein, dass sich die zwei Planeten so konkurrenziert haben, dass der kleinere Planet herausgeschleudert wurde», erklärt Michael Meyer, Professor am Institut für Astronomie. Die Autoren des Papers halten diese These für eher unwahrscheinlich. «Wir hätten einen Planeten in dem Moment entdeckt, in dem er vom Stern wegdriftet. Das wäre ein sehr grosser Zufall», so Meyer. Ein weiteres Problem: Noch niemand hat diesen Konkurrenz-Planeten gesehen. Er müsste so nahe am Stern sein, dass es mit der heutigen Optik schlicht unmöglich ist, ihn ausfindig zu machen.
Bald eindeutiges Resultat
Trotzdem gibt es eine – verblüffend einfache – Möglichkeit, die eine oder andere These zu verifizieren: mit mehr Beobachtung. Wenn sich die Punktquelle im Laufe des nächsten Jahrzehnts radial vom Stern wegbewegt, dann wäre das ein Beweis für die Schleuder-These. Wenn es sich um einen Protoplaneten handelt, dann müsste sich dieser in der Umlaufbahn um HD 100546 bewegen. In einem Jahr würde das ungefähr ein Grad Abweichung vom heutigen Standort bedeuten. «Wenn wir das Objekt regelmässig beobachten, werden wir schon bald nachweisen können, welche These richtig ist», sagt Quanz. Die Forscher werden deshalb bereits im April die Scheibe und den Planeten nochmals mit verschiedenen Wellenlängen untersuchen.
Kooperation mit den Kosmologen
Nebst allen erstaunlichen Beobachtungen und Thesen der Forschenden kann die Publikation aber auch noch mit einer methodischen Besonderheit aufwarten. Es geht darum, wie die Daten analysiert wurden. Alle Exoplaneten-Forscher kämpfen immer mit der gleichen Schwierigkeit: Sie müssen versuchen die Signaturen des Sterns und der Scheibe „wegzurechnen“, um die relativ leuchtschwachen Planeten besser sehen zu können. Dazu muss man den leuchtenden Stern möglichst gut charakterisieren können. Die Kosmologen, die an sich nichts mit Exoplaneten zu tun haben, befassen sich mit ähnlichen Fragestellungen. Auch sie müssen die Helligkeitsverteilung eines Sterns genau kennen, um astrophysikalische Effekte in ihren Daten von teleskopabhängigen Effekten unterscheiden zu können. Adam Amara, ebenfalls am Institut für Astronomie der ETH Zürich und Zweitautor des Papers, ist Kosmologe und erforscht sogenannte Lensing-Probleme, wo diese Effekte besonders relevant sind. Zusammen mit seinen Institutskollegen ist es ihm gelungen, eine schon länger bekannte Methode aus der Kosmologie auch auf den Exoplaneten anzuwenden. (ETH Zürich/mc/pg)