In Albanien kämpfen Forscher seit Jahren um einen einzigartigen Wildfluss – der frei ist von menschlichem Einfluss. Nun stehen sie womöglich vor einem der grössten Erfolge für den europäischen Umweltschutz.
Die Vjosa ist von ganz besonders wilder Natur. Zwischen hellen Sand- und Kiesufern schlängelt sich der glasklare Fluss durch den Süden Albaniens. Das Wasser fliesst in verzweigten Armen auseinander und wieder zusammen, bildet dabei unzählige kleine Inselchen. Gesäumt von sanften Hügeln ist das Flussbett an manchen Stellen breiter als zehn Fussballfelder.
«In der Vjosa leben Fische, die es nur hier gibt», sagt der Biologe Friedrich Schiemer. Der emeritierte Professor aus Wien arbeitet trotz seines Ruhestands noch viel in der Region. Seit einiger Zeit trägt sogar ein Forschungszentrum am Fluss seine Namen.
Lange war das dünn besiedelte Gebiet an der Vjosa und ihren Nebenflüssen ökologisch eine Art Terra incognita. Und manche Teile sind noch unbekanntes Terrain. Aber in den vergangenen Jahren haben sich Schiemer und viele Kollegen in aufwendigen Flurbegehungen bemüht, in der Natur Inventur zu machen. 2017 wiesen sie 40 Tierarten erstmals in Albanien nach. Eine Fischart und eine Steinfliegenart, die sie fanden, waren bis dahin sogar völlig unbekannt.
Während der Mensch anderswo mit Beton und Dämmen Flussläufe begradigte, darf sich die Vjosa nahezu ungestört ausbreiten. Sie ist einer der letzten Wildflüsse Europas. «Wir finden hier eine Vielfalt, die es sonst nirgendwo mehr gibt», sagt Schiemer und meint damit nicht nur Wassertiere. Auf den Schotterflächen am Ufer haben die Biologen allein mehr als hundert Laufkäferarten entdeckt. In Zeiten des Insektenschwunds eine Seltenheit.
Die Vjosa ist ungefähr 270 Kilometer lang, aber von der Quelle in Griechenland bis zur Mündung in der Adria einzigartig. Schiemer spricht von einem absoluten Referenzsystem und schliesst damit auch die Nebenflüsse ein. Ständig ändere sich der Flusslauf, nach jedem Hochwasser sucht sich der Strom einen anderen Weg durch das Tal.