von Patrick Gunti
Ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende. War 2016 ein Jahr wie jedes andere? Im «Kleinen», auf die jeweilige persönliche Situation eines jedes Einzelnen in der Schweiz bezogen, vielleicht schon. Jede und jeder hat Freude und Leid verspürt, Gutes erlebt, Schlechtes erlitten. Familien haben Angehörige verloren, neues Leben wurde geboren. Von grossen Umwälzungen blieben wir verschont, ebenso von Krieg, Umweltkatastrophen und Hunger. Und auch die Schweizer Wirtschaft hat sich in einem in vielerlei Hinsicht herausfordernden Umfeld tapfer geschlagen. Natürlich gibt es auch hierzulande Menschen, die am Erfolg des Landes nicht genügend teilhaben. Aber auch am Ende dieses Jahres lässt sich behaupten: es geht uns gut. Insoweit war es – und dies auf hohem Niveau – ein ganz normales Jahr.
Und doch will sich dieses Gefühl nicht so richtig einstellen, fällt es schwer, eine positive Bilanz zu ziehen, sich auf das kommende Jahr, das Neue, die neuen Herausforderungen und das zweifellos auch Schöne zu freuen. Zu viel ist im zurückliegenden Jahr geschehen, das ein ungutes Gefühl hinterlässt.
Die Rechtspopulisten im Aufwind
Der Krieg in Syrien ist nicht einfach nur grässlich. Dieser Krieg ist ein Versagen der Weltgemeinschaft und zeigt, zu was Diktatoren, machtbesessene Politiker und fehlgeleitete Fanatiker – Menschen – auch im 21. Jahrhundert fähig sind.
Auch die unzähligen Terroranschläge hinterlassen Wirkung. In der Schweiz sind wir bisher verschont geblieben. Dennoch ist der Terror ein steter Teil unserer Gedankenwelt geworden. Ängste machen sich breit, Verunsicherung greift um sich. Der Terrorismus des IS und anderer islamistischer Fanatiker, der Krieg in Syrien und die daraus resultierende Flüchtlingskatastrophe, der stete Strom von Flüchtlingen aus Afrika und die Hilflosigkeit der Politik und der Institutionen, gepaart mit ökonomischen Gründen und den Ängsten vieler Menschen, in einer offenen, grenzenlosen und digitalisierten Welt «abgehängt» zu werden – hat dem Rechtspopulismus derart Auftrieb verschafft, dass immer öfter mahnende Worte und der Verweis auf die Situation in den 1930er Jahren zu vernehmen sind.
Die «Volksversteher» sind überall
Das mag übertrieben sein. Die Wahl Donald Trumps hat aber gezeigt, dass die Menschen auch heute nicht immun dagegen sind, Populisten und Rattenfängern zu folgen. Mit der Wahl Trumps haben die Rechtspopulisten in den westlichen Demokratien ihren bisher grössten Erfolg gefeiert. Aber diese angeblichen «Volksversteher» sind nicht neu, sie sind überall. Ob Viktor Orbàn in Ungarn, Jaroslaw Kaczyński in Polen, die offen rassistischen Exponenten der AfD in Deutschland, der holländische Volksverhetzer Geert Wilders oder Marine Le Pen und ihr Front National in Frankreich – sie alle besetzen mit ihren faktisch Ein-Themen-Parteien die Schlagzeilen und greifen nach der Macht, wenn sie sie nicht bereits in den Händen halten. Auch in der Schweiz deckt die SVP seit vielen Jahren das rechte Spektrum ab und treibt die anderen Parteien mit ihren Initiativen, die fast immer auf Abschottung und Isolationismus hinzielen, vor sich hin.
Diese Entwicklung ist eine grosse Bewährungsprobe für die Demokratien. Aber Populismus, ob von rechts oder von links, ist nicht zwangsläufig antidemokratisch. Wie laut es auch tönt, wie viel Unsinn und leere Versprechen die Parolen auch beinhalten und wie oft sie vom digitalen Stammtisch auch über Social Media verbreitet werden mögen – zumindest im Ansatz tragen sie meist ein Anliegen eines Teils der Bevölkerung in sich, dem die etablierten Parteien Rechnung zu tragen haben. Tun sie es nicht, wird sich die unselige Entwicklung der letzten Jahre nicht stoppen lassen.
Von Narzissten und Opportunisten
Die, die sich von den vermeintlichen Alternativen angesprochen fühlen, sollten sich aber zumindest mal fragen, was ihre Heilsbringer in Tat und Wahrheit antreibt. Ist es wirklich die Sorge um das Land? Sind es die Bedürfnisse des unablässig zitierten Volks? Die Angst vor verloren gehender Identität? Die Abneigung gegenüber allem Fremden? Die Angst vor den fremden Richtern? Donald Trump wirft man vor, er sei weniger ein Populist als vielmehr ein Narzisst und Opportunist. Ist ein Viktor Orbàn wirklich anders? Eine Frauke Petry? Ein Geert Wilders? Ein Roger Köppel?
Unumkehrbar
Was mich letztlich doch etwas positiv nach vorne schauen lässt, ist die Hoffnung auf eine gewisse Unumkehrbarkeit des in den letzten Jahrzehnten Erreichten. Ob die USA, Deutschland oder Frankreich – wie die Schweiz sind diese Länder gefestigte Demokratien und werden nicht zu einem braunen Sumpf. Oder die Europäische Union. Über deren Unzulänglichkeiten ist alles gesagt, auch über ihre unrühmliche Rolle in der Flüchtlingskrise. Nichts desto trotz ist und bleibt sie ein erfolgreiches Friedensprojekt. Die EU hat entscheidend zu Frieden, Versöhnung, zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Demokratie in Europa beigetragen. Und die UNO ist sicher nicht «das Gewissen der Welt», wie Kofi Annan einst sagte. Noch viel weniger aber ist sie «ein Klub, in dem Leute sich treffen, unterhalten und gut amüsieren», wie Trump jüngst zum Besten gab.
Auch die Globalisierung, mit all ihr Vor- und Nachteilen, ist unumkehrbar und wird protektionistische Ideen letztlich in die Schranken weisen. Die modernen Technologien haben die Welt längst zu einem Dorf werden lassen. Lässt sich dieser gewaltige Prozess, der verständlicherweise auch Ängste schürt, aufhalten? Nein, gewisse Entwicklungen lassen sich nicht stoppen. Der Vormarsch der Rechtspopulisten hingegen schon. Wir können ihm mit fortgeschrittener Demokratie entgegentreten. Als mündige Stimmbürger, aber auch mit Offenheit, Toleranz, Neugier und Empathie gegenüber den Schwächeren, den Verfolgten, Leidgeprüften, Heimatlosen.
Auf ein glückliches und engagiertes 2017!