Kleine und mittelgrosse Städte sind innovativer als gedacht

Kleine und mittelgrosse Städte sind innovativer als gedacht
(Foto: Pixabay)

Bern – Politikerinnen und Politiker in ganz Europa entdecken zunehmend die kleinen und mittelgrossen Städte. Ein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Projekt analysiert ihre Funktion und Bedeutung in der Schweiz. Und kommt zum Schluss: Die nationale Politik und Planungspraxis haben deren Potenzial noch zu wenig erkannt.

Lange schaute Politik und Forschung nur auf die Grossstädte. In einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten interdisziplinären Projekt analysierte nun ein Team um die Professorin für Wirtschaftsgeographie, Heike Mayer, und den Professor für Politikwissenschaft, Fritz Sager, die kleinen und mittelgrossen Städte (SMSTs) in der Schweiz. Die Forschenden teilten für die Untersuchung in einem ersten Schritt 152 Städte mit bis zu 50’000 Einwohnerinnen und Einwohnern aufgrund bereits vorhandener Datensätze in sieben Typen ein. Und stellten dabei fest: Die SMSTs sind in ihrer wirtschaftlichen Spezialisierung sehr heterogen. «Das ist eine Überraschung, auch im internationalen Vergleich», sagt Mayer.

In Interviews mit Verantwortlichen aus der Lokalpolitik hat sich gemäss der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Rahel Meili zudem gezeigt, dass die örtliche Politik die Entwicklung der SMSTs positiv beeinflussen kann. Sie bemängelt aber, dass manchmal das Bewusstsein dafür fehlt, wie man eine Stadt strategisch entwickeln kann. Und sie hat festgestellt: «Man baut oft auf schon bestehende Charakteristiken und ist eher reaktiv als aktiv». Heike Mayer betont: «Die nationale Politik indessen hat noch keine Antwort auf die Heterogenität der SMSTs gefunden. Man schert stattdessen alle über einen Kamm.»

Ein weiterer wichtiger Faktor in den SMSTs sind innovative Firmen. Die Forschenden der Universität Bern haben sich auch mit ihnen intensiv auseinandergesetzt. Erstaunt hat Heike Mayer bei diesen Fallstudienanalysen insbesondere, «dass die Firmen trotz der Verlockung billigerer Standorte im Ausland vor Ort bleiben und Strategien entwickeln, wie sie die Besonderheiten der SMST nutzen können».

Einteilung in sieben Typen
Für die Einteilung der kleinen und mittelgrossen Städte in unterschiedliche Typen, die in Relation zu einander definiert sind, nahm das Forschungsteam um Heike Mayer bereits vorhandene Daten des Bundesamtes für Statistik als Grundlage. Es wählte zehn Variablen und konnte anhand einer Clusteranalyse neue Gruppen identifizieren. Ittigen bei Bern gehört demnach zu den «Prospering Residential Economy Towns», die sich hinsichtlich Vollzeitarbeitsplätzen und Bevölkerungszahl besonders gut entwickeln. Der Bund hat viele Verwaltungseinheiten nach Ittigen ausgelagert. So sind neue Arbeitsplätze entstanden, und die Stadt ist für Pendler sehr attraktiv geworden.

Auch in den sogenannten «Business Hub Towns, die im Vergleich durch viele Hauptsitze von Topfirmen charakterisiert sind, steigt die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze stark an. Zu ihnen gehört etwa die Flughafenstadt Kloten. «High Tech Towns» wie zum Beispiel Uzwil SG, die durch eine spezialisierte High Tech Industrie charakterisiert sind, wachsen bezogen auf Beschäftigungsgrad und Bevölkerungszahl unterdurchschnittlich. Ausser wenn sie in grossen Metropolitanregionen angesiedelt sind.

SMSTs können sich in der gleichen Region befinden, aber dennoch sehr unterschiedliche wirtschaftliche Charakteristiken aufweisen. Die Region bestimmt nicht die Typologisierung – hat aber dennoch Einfluss: Denn je stärker sie als Ganzes wächst, desto eher wachsen auch die einzelnen SMSTs.

Lokalpolitische Strategien
Für den wirtschaftlichen Erfolg der Städte ist ausserdem essentiell, wie in lokalpolitischen Strategien bereits vorhandene Ressourcen genutzt werden. Wädenswil ZH zum Beispiel, wo es seit 1970 eine Berufsbildungshochschule gibt, baut sich seit einigen Jahren gezielt als Bildungs- und Forschungsstadt auf. Thun dagegen war als Militärstadt stets sehr abhängig von externen Investitionen und bemüht sich heute, die Wirtschaft zu diversifizieren.

Rahel Meili hat zusammen mit ihrem Kollegen Politikwissenschaftler David Kaufmann vor Ort qualitative Interviews mit Politikerinnen und Politikern geführt. Ihre Untersuchung zeigt, dass Kleinstädte in der Metropolitanregion Zürich ihre Wirtschaftsstruktur hauptsächlich durch Raumplanung beeinflussen können. Sie sei «der treibende Faktor für die Entwicklung von Bevölkerung und Arbeitsmarkt». Selbst klassische Pendlerstädte wie Bülach würden sich deswegen Gedanken zur eigenen Attraktivität machen. Dazu Meili: «Ich habe in meinen Studien keine einzige SMST gesehen, die sich als reine Schlafstadt versteht». Das Forschungsteam empfiehlt deswegen, den SMSTs in nationalen Ansätzen wie dem Raumkonzept Schweiz mehr Beachtung zu schenken.

Firmen als Innovationsbooster
Heike Mayer hat besonders überrascht, dass auch die Firmen in den SMSTs sehr viel diverser und einfallsreicher sind, als bisher angenommen. Weil sie viele unterschiedliche Mitarbeiter brauchen, ziehen sie Menschen aus anderen Regionen und Ländern in die Kleinstädte. Und die Unternehmen nutzen deren Vorteile, zum Beispiel die Kleinheit: «Man tauscht sich in Vereinen, beim Einkaufen oder sonstigen Begegnungen über alle Hierarchien hinweg aus. Und die Wege zur Stadtverwaltung sind kurz». Mayer betont: «Innovation entsteht auch in den kleinen und mittelgrossen Städten».

Die Forschenden ziehen aus ihren Firmenbesuchen den Schluss: Die soziale Struktur in den SMSTs und der rege Austausch führen zu einem starken Identitäts- und Gemeinschaftsgefühl vor Ort.

Neue Perspektive aus der Forschung
Die Resultate aus der Feldforschung in den SMSTs sind laut Mayer im Licht internationaler Entwicklungen zu betrachten. Bisher seien die Vorstellungen von Städten in Politik und Forschung vor allem durch den Blick auf die Grossstädte geprägt gewesen: «Die prominenten Forscher sitzen schliesslich in Toronto, Los Angeles und New York». Für die Wirtschaftsgeografie sei der Gedanke neu und aufregend, dass die SMSTs ihre Diversität selber strategisch herstellen und so wirtschaftlich dynamisch und erfolgreich sein können. So schliesst Heike Mayer: «Politik und Forschung in Europa entdecken die Kleinstädte etwa seit 2015. Das hat vermutlich einerseits damit zu tun, dass das Leben in den Grossstädten zu teuer wird, andererseits aber SMSTs heute gut erschlossen und attraktiv sind». (mc/pg)

Schweizerischer Nationalfonds

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