St. Gallen – Der globale CO2-Ausstoss ist ein blinder Fleck auf der Datenlandkarte. Das Forscherteam der HSG um Prof. Dr. Damian Borth und Dr. Michael Mommert möchte das ändern. Anhand von Satellitenbildern werden sie bald weltweit alle fossilen Kraftwerke orten um Schadstoff-Emittenten aufzuspüren. Mit Künstlicher Intelligenz werten die Forschenden die Daten aus und ermitteln, wo und wie viel CO2 ausgestossen wird und wer die Schadstoffe kompensieren muss.
«Wir können uns einen CO2-Ausstoss mit Blick auf den Klimawandel nur noch erlauben, wenn wir gleichzeitig in der Lage sind, die Emissionen anderweitig zu kompensieren», sagt Damian Borth, Professor für Künstliche Intelligenz an der School of Computer Science der Universität St.Gallen (HSG). In einer aktuellen Initiative befasst sich das Team mit der Frage, wie man CO2-Emittenten finden und langfristig beobachten kann. Das Ziel: CO2 reduzieren mithilfe von Emissionstransparenz. Will heissen: «Nur wenn wir genau wissen, welche Player in der Industrie wann und wo den Klimawandel mit Schadstoffen begünstigen, können wir sie über Umweltratings dazu zwingen, sich an internationale Klima-Abkommen zu halten.»
Fossile Kraftwerke weltweit orten und beobachten
Als Haupttreiber der globalen Erwärmung wurde die anthropogene Freisetzung von Treibhausgasemissionen (THG) durch industrielle Aktivitäten identifiziert. Die quantitative Überwachung dieser Emissionen ist zwingend erforderlich, um ihre Auswirkungen auf das Klima der Erde vollständig zu verstehen und Emissionsvorschriften in grossem Massstab durchzusetzen. «Wir haben 2016 am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) angefangen mit Hilfe von Satellitendaten Überschwemmungen aus dem Weltraum zu beobachten, um den Einsatzkräften vor Ort wichtige Informationen über die Lage zu liefern. Wie man sieht, werden Überschwemmungen auch in Europa zu einer immer grösseren Gefahr, welche zum grossen Teil auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Deswegen wechseln wir auf das Monitoring des Klimawandels», sagt Damian Borth. Der St.Galler Professor für Artificial Intelligence and Machine Learning erklärt, dass ähnlich aufgebaute tiefen Neuronalen Netze, welche Überschwemmungen erkennen können, sich auch eignen um in frei verfügbaren Satellitendaten der Europäischen Weltraumbehörde ESA, fossile Kraftwerke auf dem Globus zu orten und die Schadstoffe, welche sie ausstossen aus dem Weltraum aus zu messen.
«Das Ziel ist, alle Kraftwerke, zuerst in Europa und dann weltweit, durch unsere KI-Verfahren kontinuierlich zu scannen und deren Ausstoss zu quantifizieren.»
Michael Mommert
Dr. Michael Mommert fügt hinzu: «Wir haben gerade zwei Arbeiten veröffentlicht, in denen wir zeigen, dass es mit Hilfe von tiefen Neuronalen Netzen durchaus möglich ist, Kraftwerke zu identifizieren und den Rauch aus ihren Schornsteinen pixel-genau zu messen und daraus Emissionen abzuschätzen. Das Ziel ist, alle Kraftwerke, zuerst in Europa und dann weltweit, durch unsere KI-Verfahren kontinuierlich zu scannen und deren Ausstoss zu quantifizieren». Der Computer lernt dabei ständig mithilfe von Eingaben der Forschenden dazu und verfeinert so die Analyse der Satellitendaten, bis man genau nachvollziehen kann, wann welches Kraftwerk wo wieviel CO2 in die Atmosphäre entlässt.
Schwerindustrie beobachten und Green Washing vermeiden
«In einem weiteren Schritt wollen wir dieses Verfahren auf die Schwerindustrie anwenden und auch hier den CO2-Ausstoss messen», sagt Damian Borth. Dann könnte man die ausgewerteten Daten mit Nachhaltigkeitsberichten weltweit verknüpfen und prüfen, ob die Angaben von Emittenten dem real gemessenen CO2-Ausstoss entsprechen. Diese Informationen nutzen Rating-Agenturen, um Unternehmen zu Umweltthemen zu bewerten und dadurch Investoren erst ermöglichen «grün» zu investieren. «Der Finanzhebel ist wohl der effizienteste Weg, um umweltverträgliches Handeln in der Industrie zu erreichen. Gerade in den letzten Wochen haben Investoren mit Anlagevermögen von über USD 43 Trilliarden sich zum sog. NetZero verpflichtet, das ist fast die Hälfte des weltweiten Anlagevermögens», sagt Damian Borth.
Bilder aus dem Weltall für eine umweltfreundliche Zukunft
Aber nicht nur als indirektes «Druckmittel» alias «Anreiz» zu klimafreundlichem Handeln dienen die Ergebnisse der Auswertungen. «Uns geht es nicht nur darum, eine Kamera im Weltall zu installieren, die Klimasünder überführt: Die Künstliche Intelligenz liefert zusammen mit den Satellitenbildern auch essentielle Informationen für viele weitere Bereiche wie zum Beispiel: den Schutz der Biodiversität, die Überwachung der Luftqualität im Urbanen oder dem Schutz der Natur in der Landwirtschaft.
«Transparenz kann uns in der Klimakrise wirklich effizient voranbringen.»
Damian Borth
Leistungsfähiges Modell und Datenanalyse mit KI
«Noch stehen wir am Anfang eines gigantischen Datenbergs und dessen Auswertung», sagt der Experte für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen. «Wir sind zuversichtlich, mit den Daten einen positiven Einfluss auf weltweites Klimahandeln zu erwirken. Transparenz kann uns hier in der Klimakrise wirklich effizient voranbringen.»
Die Leistung der ersten Modelle wird noch durch gelegentliche Verwechslungen mit reflektierenden Oberflächenobjekten und menschliche Einschränkungen bei der Annotation der Rauchwolken eingeschränkt. Wir hoffen, dass wir mit Hilfe von speziellen Trainingsansätzen (sog. Self-Supervised Learning) und dem enormen Datenschatz der ESA unsere Modelle in Zukunft bis auf wenige Prozentfehlerpunkte perfektionieren können. Ein Punkt ist Damian Borth noch wichtig: «Wir spielen nicht Big Brother, unsere Arbeit hat das Ziel, klimafreundliches Handeln zu erwirken. Menschliche Interaktion oder gar das Erkennen von einzelnen Personen ist durch unsere Modelle nicht möglich. »
Erste Vorarbeiten wurden bereits auf der IEEE IGARSS und dem NeurIPS Workshop zum Klimawandel veröffentlicht. Die Forschunger:innen sind im engen Austausch mit Prof. Andreas Hoepner, Mitglied der Technical Expert Group on Sustainable Finance der Europäischen Union und auf Anwendungsseite mit Institutional Shareholder Services Inc (ISS) um Nachhaltigkeitselemente in die Forschungsarbeiten einfliessen lassen zu können. In St.Gallen arbeitet das HSG-Forscherteam bereits erfolgreich mit den Stadtwerken und der Entsorgung St.Gallen als Betreiber der Kehrichtkraftwerkes zusammen. (Universität St. Gallen/ mc/ps)
Prof. Dr. Damian Borth ist Ordentlicher Professor für Artificial Intelligence and Machine Learning (AIML) an der Universität St.Gallen (HSG). Dr. Michael Mommert leitet die Earth Observation & Remote Sensing Gruppe am AIML Lehrstuhl.