Zürich – Am 3. Oktober 2023 stürzten 14,7 Millionen Kubikmeter gefrorenes Moränenmaterial in den südlichen Lhonak-See im östlichen Himalaya und lösten eine bis zu 20 Meter hohe Flutwelle aus. Ein internationales Team mit UZH-Beteiligung untersuchte Ursachen und Folgen – ein eindrückliches Beispiel für die zunehmenden Klimarisiken in Hochgebirgsregionen.
Eine internationale Studie untersucht die Ursachen und Auswirkungen der verheerenden Flutkatastrophe im Himalaya, die im Oktober 2023 weite Strecken entlang des Teesta Rivers im indischen Sikkim und der umliegenden Regionen verwüstete. Ein Forschungsteam aus neun Ländern analysierte die komplexen Zusammenhänge, Dynamiken und Folgen dieser Flutkaskade und rekonstruierte den genauen Zeitpunkt des Ausbruchs.
Massive Schäden durch tsunamiartige Flutwelle
Am 3. Oktober 2023 stürzten rund 14,7 Millionen Kubikmeter gefrorenes Moränenmaterial in den South
Lhonak Lake und lösten eine bis zu 20 Meter hohe, tsunamiartige Flutwelle aus. Der anschliessende Gletscherseeausbruch (Glacial Lake Outburst Flood, GLOF) erodierte die Moräne und setzte rund 50 Millionen Kubikmeter Wasser frei – genug, um 20 000 olympische Schwimmbecken zu füllen. Die Flut verursachte massive Schäden entlang eines 385 Kilometer langen Tals, spülte etwa 270 Millionen Kubikmeter Sediment weg und überflutete Infrastruktur wie Wasserkraftwerke am Teesta-Fluss. Mindestens 55 Menschen kamen ums Leben, 70 weitere gelten als vermisst.
«Dieses Ereignis zeigt eindrücklich, wie verletzlich Hochgebirgsregionen gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels sind», betont Christian Huggel, Studien-Mitautor und Leiter der Forschungsgruppe für Umwelt und Klima an der Universität Zürich. «Das Auftauen des Permafrosts und die Instabilitäten in Fels, Eis und der Moränenstrukturen bergen grosse Risiken.»
Hochauflösende Fernerkundungsdaten entscheidend
Mit modernsten wissenschaftlichen Methoden analysierten die Forschenden die Dynamik und die Auswirkungen der Flutkatastrophe im Detail. Hochauflösende Satellitenbilder, digitale Höhenmodelle und numerische Simulationen ermöglichten eine detaillierte Rekonstruktion des Ereignisses. Seismische Daten halfen, den genauen Zeitpunkt des Moränenkollapses zu bestimmen, während geomorphologische Analysen das Volumen der freigesetzten Wassermassen und der transportierten Sedimente quantifizierten. Durch die Kombination von Satellitentechnologie und physikalischen Modellen entstand ein umfassendes Bild der Katastrophe und ihrer weitreichenden Folgen.
«Die Nutzung hochauflösender Fernerkundungsdaten war entscheidend, um die komplexen Prozesse und Kaskadeneffekte der Flut detailliert nachzuvollziehen», erklärt Erstautor Ashim Sattar, ehemaliger Postdoktorand an der UZH und heute Assistenzprofessor am Indian Institute of Technology, Bhubaneswar. «Die Zusammenarbeit zwischen Forschenden unterschiedlicher Disziplinen war essenziell, um das ganze Ausmass dieses Ereignisses zu verstehen.»
Frühwarnsysteme dringend erforderlich
Die Flut zerstörte nicht nur Infrastruktur, darunter fünf Wasserkraftwerke, sondern führte auch zu massiver Erosion und Sedimentablagerungen mit gravierenden Folgen für die Landwirtschaft und die lokale Wirtschaft. «Unsere Ergebnisse zeigen die dringende Notwendigkeit von Frühwarnsystemen und internationaler Zusammenarbeit, um solchen Herausforderungen zu begegnen», betont Sattar. Die Studie zeigt auch, dass die Instabilität der Moränen bereits Jahre vor dem Ereignis erkennbar war – mit Verschiebungen von bis zu 15 Metern pro Jahr. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von koordinierter Überwachung von kritischen Hochgebirgszonen und weiteren präventiven Massnahmen, die die Schäden hätten verringern können.
Risiko besser einschätzen
Die Forschenden betonen, dass ähnliche Katastrophen in Zukunft wahrscheinlicher werden, da steigende Temperaturen das Risiko von Gletscherseeausbrüchen erhöhen. «Der Fall des South Lhonak Lakes ist eine Mahnung, die Klimarisiken in Gebirgsregionen weltweit ernster zu nehmen», sagt Christian Huggel. Ashim Sattar ergänzt: «Wir brauchen eine bessere Risikomodellierung und -bewertung sowie robuste Anpassungsstrategien, um künftige Katastrophen zu minimieren.»
Das Team fordert auch eine stärkere Regulierung bei der Planung von Wasserkraftprojekten in Risikogebieten, eine bessere Überwachung von Gletscherseen und die Integration von Frühwarnsystemen. Die Studie liefert
wichtige Erkenntnisse, die dazu beitragen können, lokale Gemeinden besser auf die wachsenden Herausforderungen des Klimawandels vorzubereiten. (Universität Zürich/mc/ps)
Literatur
A. Sattar et al. The Sikkim flood of October 2023: Drivers, causes and impacts of a multihazard cascade. Science. 30. Januar 2025. DOI: 10.1126/science.ads2659