Klimaerwärmung könnte auch nach einem Stopp des Treibhausgas-Ausstosses weitergehen.
Zürich – Neue Modellrechnungen von ETH-Forscher Thomas Frölicher zeigen, dass die Klimaerwärmung auch nach einem Stopp des Treibhausgasausstosses weitergehen könnte. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der Klimawandel stärker ausfallen werde als bisher angenommen, sagt der Wissenschaftler.
Gelingt es der Menschheit dereinst, den Ausstoss von Treibhausgasen in die Atmosphäre zu stoppen, wird die Klimaerwärmung nach der Ansicht vieler Wissenschaftler zu einem Ende kommen. Es wäre dann auf der Erde zwar wärmer als vor der Industrialisierung, doch immerhin würde es nicht noch wärmer werden. Der Klimaphysiker Thomas Frölicher stellt diese Auffassung nun mit Modellrechnungen infrage und zeichnet in einer in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlichten Studie ein pessimistischeres Bild: Laut seinen Modellrechnungen ist es gut möglich, dass die Erwärmung auch nach einem kompletten CO2-Emissionsstopp noch während Jahrhunderten weitergeht und sich die Temperatur erst später auf einem noch höheren Niveau einpendelt.
«Die Temperaturerhöhung könnte langfristig um ein Viertel stärker ausfallen als bisher angenommen», sagt der Wissenschaftler, der als sogenannter Ambizione-Fellow des Schweizerischen Nationalfonds in der Gruppe von ETH-Professor Nicolas Gruber forscht.
Realistischeres Modell
Frölicher und seine Mitautoren aus den USA benutzten für ihre Berechnungen eines der international führenden Klimamodelle, das Modell ESM2M, das am Geophysical Fluid Dynamics Laboratory in Princeton entwickelt wurde. Es berücksichtigt physikalische und biogeochemische Prozesse – etwa den Austausch von Klimagasen und von Wärme mit den Ozeanen – auf einer detaillierteren Ebene als viele frühere Klimamodelle. «Das Modell ist näher an der Realität», resümiert Frölicher.
In diesem Modell untersuchten die Forscher, was passiert, wenn auf einen Schlag 1800 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre ausgestossen werden. Zum Vergleich: Man geht davon aus, dass bereits 1000 Gigatonnen CO2 zu einer Klimaerwärmung von zwei Grad Celsius führen. Weil in der Realität die Emissionen der Treibhausgase über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten oder Jahrhunderten vonstattengeht, entspricht Frölichers Modellrechnung einem stark vereinfachten Szenario. Sie eigne sich aber dennoch gut, um grundlegende Prinzipien aufzuzeigen, erklärt der Klimaforscher.
Regionale Wärmeaufnahme in den Ozeanen entscheidend
«Ein Grossteil von dem in die Atmosphäre ausgestossenen CO2 und der über den Treibhauseffekt entstandenen Wärme geht über kurz oder lang in die Ozeane – von der Wärme waren es in den letzten 40 Jahren neun Zehntel», erklärt Frölicher. Es sei jedoch entscheidend, wo die Wärme vom Ozean aufgenommen werde. Bisher habe man der regionalen Wärmeaufnahme der Weltmeere in der Klimaforschung nicht genügend Beachtung geschenkt. Mithilfe des hochauflösenden Klimamodells ESM2M zeigen die Wissenschaftler nun: Eine Änderung der Wärmeaufnahme in den Polarregionen hat einen grösseren Effekt auf die globale Atmosphärentemperatur als eine Änderung in Äquatornähe. Mit diesen Unterschieden erklärt sich der Forscher auch, warum seine Berechnungen zu anderen Resultaten führen als bisherige Studien.
Frölicher räumt ein, dass es sich bei seinen Berechnungen um solche mit einem einzigen Klimamodell handelt. Es sei zumindest nicht ausgeschlossen, dass man mit anderen Klimamodellen zu anderen Ergebnissen komme, sagt er. Dennoch ist für ihn klar: Wie sich das Klima in den nächsten Jahrhunderten entwickelt, ist weniger eindeutig als bisher angenommen. Vielmehr müsse man in Betracht ziehen, dass der Klimawandel stärker ausfallen könnte als bisher angenommen, sagt der Wissenschaftler. «Halten unsere Ergebnisse einer Wiederholung mit weiteren modernen und detaillierten Modellen stand, würde das bedeuten, dass die Klimaerwärmung über das Ende dieses Jahrhunderts hinaus betrachtet bisher deutlich unterschätzt wurde.»
Eine um ein Viertel stärkere Klimaerwärmung hiesse auch, dass die Menschheit ein Viertel weniger Treibhausgase ausstossen dürfte, um Klimaziele wie das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. In seinem vor wenigen Monaten herausgegebenen Sachstandsbericht geht der Weltklimarat IPCC davon aus, dass die über die Zeit kumuliert ausgestossene Menge CO2-Äquivalente für das Zwei-Grad-Ziel 1000 Gigatonnen nicht übersteigen darf. Seit Beginn der industriellen Revolution hat die Menschheit rund die Hälfte dieses Budgets – 500 Gigatonnen – bereits verbraucht. Stimmen Frölichers Resultate, wäre der Emissionskuchen um ein Viertel kleiner, statt 1000 nur deren 750 Gigatonnen CO2-Äquivalente gross. Damit dürfte die Menschheit für das Zwei-Grad-Ziel statt zusätzlichen 500 nur noch zusätzlich rund 250 Gigatonnen CO2-Äquivalente ausstossen. (ETH/mc/pg)