Klinisch relevanter Mangel an «Kuschelhormon» Oxytocin nachgewiesen

Die Hormone Oxytocin und Vasopressin enstehen im gleichen Hirnareal und sind sich in der Struktur ähnlich. Störungen, die zu einem Vasopressin-Mangel führen, könnten daher auch die Oxytocin-produzierenden Neuronen betreffen. (Bild: Adobe Stock / Unibas)

Basel – Das Hormon Oxytocin ist wichtig für die soziale Interaktion und um Emotionen zu steuern. Ein Mangel daran wurde bisher beispielsweise bei Personen mit Autismus angenommen, jedoch nie bewiesen. Forschende der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel konnten nun erstmals einen Oxytocin-Mangel belegen, und zwar bei Personen mit einem Mangel an Vasopressin infolge einer Erkrankung der Hirnanhangdrüse. Diese Erkenntnis könnte neue Therapieansätze ermöglichen.

Die Hormone Oxytocin und Vasopressin entstehen im gleichen Hirnareal und sind sich auch in der Struktur sehr ähnlich. Menschen mit einem seltenen Mangel an Vasopressin können ihren Urin nicht konzentrieren und verlieren deshalb literweise Wasser. Um das zu kompensieren, müssen sie bis zu zehn oder mehr Liter pro Tag trinken.

Diese Symptome lassen sich zwar mit einem Nasenspray oder einer Tablette mit künstlich hergestelltem Vasopressin meist problemlos behandeln. Dennoch leiden auch mit dieser Therapie viele Patientinnen und Patienten unter Angststörungen, haben Mühe mit sozialen Interaktionen oder allgemein mit der Emotionswahrnehmung.

Grund dafür könnte ein Mangel an Oxytocin sein, umgangssprachlich auch als «Kuschelhormon» bezeichnet. «Weil die Produktion der beiden Hormone anatomisch so nahe beieinanderliegt, könnten Störungen, die zu einem Vasopressin-Mangel führen, auch die Oxytocin-produzierenden Neuronen betreffen», erklärt Dr. Cihan Atila, Endokrinologe und Erstautor einer Studie, die nun im Fachmagazin «Lancet Diabetes and Endocrinology» erschienen ist.

Oxytocin-Booster funktioniert nur bei Gesunden
Oxytocin kann man jedoch schlecht messen; für eine zuverlässige Aussage braucht es einen sogenannten Stimulationstest. Dieser regt die Oxytocinsekretion an, also die Abgabe dieses Hormons im Körper. Eine solche Stimulationssubstanz ist MDMA (3,4-Methylenedioxy-N-Methamphetamin), besser bekannt als Ecstasy.

Die Forschenden der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel unter der Leitung von Prof. Dr. Mirjam Christ-Crain haben nun gezeigt, dass bei Gesunden nach einmaliger Einnahme von MDMA der Oxytocinspiegel 8,5-mal höher ist, während er bei Personen mit Vasopressin-Mangel unverändert blieb. Demnach scheint bei ihnen auch die Oxytocin-Produktion gestört zu sein.

Der Anstieg von Oxytocin bei den Gesunden unter MDMA bewirkte wie erwartet ein pro-soziales Verhalten und eine Zunahme an Empathie sowie gleichzeitig eine Reduktion von Angstsymptomen. Die Patientinnen und Patienten mit Vasopressin-Mangel zeigten hingegen keinerlei Veränderungen in diesen Belangen. «Ein Oxytocin-Mangel bei Personen mit Vasopressin-Mangel würde diesen Befund zumindest teilweise erklären», so Endokrinologe Atila.

Therapie mit Oxytocin?
«Diese Resultate beweisen somit zum ersten Mal, dass ein klinisch relevanter Oxytocin-Mangel tatsächlich existiert. Diese Erkenntnis eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten und könnte zum Beispiel auch für die Behandlung von Personen mit Autismus interessant sein», sagt Mirjam Christ-Crain, Studienleiterin und Stv. Chefärztin Endokrinologie am Universitätsspital.

Zudem tragen die Ergebnisse zu einem vertieften Verständnis bei, wonach Oxytocin ein Schlüsselhormon für sozio-emotionale Effekte ist. Die Forschenden am Departement Klinische Forschung planen zurzeit eine grosse Studie, die untersucht, ob eine Therapie mit Oxytocin die psychologischen Symptome bei Menschen mit einem Vasopressin-Mangel verbessern kann. (Universität Basel/mc/ps)

Originalpublikation
Cihan Atila et al.
Oxytocin in response to MDMA provocation test in patients with arginine vasopressin deficiency (central diabetes insipidus): a single-centre, case-control study with nested, randomised, double-blind, placebo-controlled crossover trial
The Lancet Diabetes & Endocrinology (2023), doi: 10.1016/S2213-8587(23)00120-1
Forschungsgruppe Prof. Dr. Mirjam Christ-Crain
Universität Basel

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