Kommentar: Freie Meinungsäusserung beim Besuches von Li Keqiang in die hintere Reihe verbannt
Chinas Ministerpräsident Li Keqiang.
Bern – Das Freihandelsabkommen mit China steht kurz vor dem Abschluss. Das Abkommen ist für die Schweizer Wirtschaft und somit für die Schweiz bedeutend und das Resultat langjähriger Verhandlungen. Eingedenk des Eclats von 1999, bei welchem Chinas Staatspräsident Zeming, verärgert durch die tibetanische Demonstration auf dem Bundesplatz, der Schweiz die Freundschaft aufkündigte, werden diesmal Demonstrationen auf dem Bundesplatz verboten.
Kommentar von Helmuth Fuchs
Kantonalberner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) in der Sendung «10vor10» vom 23. Mai 2013: «Die freie Meinungsäusserung ist in unserem Land etwas sehr wichtiges, (…) das will ich in keiner Art und Weise irgendwie hintenanstellen (…) aber aus der momentanen Situation heraus (…) ist die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens wichtiger.»
Das Freihandelsabkommen ist ohne Zweifel für die Schweiz äusserst bedeutend. Trotzdem wirft die unverblümt formulierte Gewichtung der Prioritäten des Polizeidirektors einige fundamentale Fragen auf. Die Aufgabe der Polizei ist die Gewährleistung der Sicherheit der Staatsgäste. Die tibetanischen Demonstranten sind in der Vergangenheit nicht durch Gewalttätigkeit aufgefallen (im Gegensatz zu den Demonstranten der 1. Mai Kundgebung in Zürich). Ebenso gehört die Gewährleistung der freien Meinungsäusserung zu den Aufgaben der Polizei. Eine Demonstration einige hundert Meter vom Schauplatz entfernt ist genau so relevant wie keine Demonstration, da sie von den Adressaten nicht wahrgenommen werden kann.
Grundrechte sind kein Verhandlungsgegenstand
Rechtlich gesehen gibt es kein explizites Demonstrationsrecht als Grundrecht. EineDemonstration untersteht jedoch nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts dem Schutz der Meinungsäusserungs- und der VersammIungsfreiheit, beides ungeschriebene Grundrechte der Bundesverfassung. In diesem Sinn existiert ein verfassungsmässiges Demonstrationsrecht. Dass man dieses beliebig dem Rechtsempfinden von Staatsgästen anpasst und aussetzt macht die Schweiz unglaubwürdig in der Diskussion um die Umsetzung von Menschenrechten.
Die Schweizer Regierung hat in einem Kniefall vor den USA unser Rechtssystem umgangen, um die UBS vor wirtschaftlichen Sanktionen zu schützen. Damit hat sie, wie sich heute zeigt, künftigen Erpressungsversuchen von stärkeren Wirtschaftspartnern Tür und Tor geöffnet. Angela Merkel hat den nächsten Versuch bereits angekündigt. Wieso die im Lande herrschenden Gesetze zur Anwendung kommen lassen, wenn sich mit Druck schnellere Ergebnisse erzielen lassen? Dasselbe Muster kommt jetzt bei China zur Anwendung. Bestehende Rechte werden bis zur Unwirksamkeit interpretiert, um einem wirtschaftlich stärken Partner zu dienen. Das wird von anderen Ländern sehr genau beobachtet und wird die Neutralität, Offenheit und den Status der Schweiz als Bewahrerin der Menschenrechte nachhaltig negativ beeinflussen. Grundrechte sind kein Verhandlungsgegenstand, den man so billig gegen ein mögliches Wirtschaftsabkommen aufgibt. Wenn Andersdenkende Ihre Meinung nicht mehr so äussern dürfen, dass sie auch wahrgenommen werden, gibt es keine Meinungsfreiheit.
Auf den Geschmack gekommen könnte sich China ja auch durch missliebige Fernsehsendungen oder Internetkommentare gestört fühlen. Wird dann die Sendung nicht ausgestrahlt, die Webseite vom Netz genommen?