Bern – Erstmals koordiniert die Universität Bern ein «Horizon 2020»-Forschungsprojekt der EU. Mit Hilfe von Satelliten sollen dabei die Vorwarnzeiten bei Wetterextremen wie Überschwemmungen und Dürren verlängert werden.
Je besser man Naturkatastrophen voraussehen kann, desto besser kann man darauf reagieren. Fluten etwa bauen sich aber so schnell auf, dass sie bisher kaum vorhersagbar sind. Ein internationales Forschungskonsortium unter Berner Leitung versucht nun die Vorwarnzeit für Fluten und Dürren deutlich zu erhöhen. «Extreme Wetterereignisse wie Hochwasser nehmen angesichts des Klimawandels zu», sagt Adrian Jäggi vom Astronomischen Institut der Universität Bern (AIUB). «Es wird deshalb immer wichtiger, rechtzeitig genug Informationen zur Verfügung zu haben, um alle notwendigen Massnahmen zum Schutz von Leib, Leben und Infrastruktur zu ergreifen.» Jäggi leitet das dreijährige von der EU finanzierte Projekt namens EGSIEM (European Gravity Service for Improved Emergency Management), welches in Bern offiziell lanciert wurde.
Den Untergrund aus dem All beobachten
Zwar gingen Rettungskräfte nach Überschwemmungen unverzüglich an die Arbeit, sagt Projektmitarbeiter Matthias Weigelt von der Universität Luxemburg, aber ihnen habe bisher aus technischen Gründen im wahrsten Sinne des Wortes der Überblick gefehlt – also ein detailliertes Lagebild der Situation: «Bis etwa Fernerkundungssatelliten organisiert sind, die mit Kamera und Radar Übersichtsbilder und Karten herstellen können, dauert es mindestens 48 Stunden.»
Ziel der Forschung ist es deshalb, die bildgebenden Satelliten nicht erst beim Auftreten der Flut, sondern schon vorher zu positionieren. Dazu beobachten die Wissenschaftler die Verteilung der Wassermengen. Dabei genügt es nicht zu wissen, wie viel es geregnet hat. Ob es zu einer Überflutung kommt oder nicht, hängt vom Sättigungsgrad des Bodens ab – der grossen Unbekannten. Paradoxerweise lässt sich der Untergrund am besten aus dem All beobachten. Mithilfe des Satellitensystems GRACE zur Schwerefeldbestimmung, mit dem an der Universität Bern seit längerem gearbeitet wird, lassen sich Massenveränderungen auf der Erde analysieren.
EGSIEM-Leiter Jäggi erklärt das Prinzip: «Die Verteilung der Massen hat einen direkten Einfluss auf das Schwerefeld der Erde und somit auf die Bahn der Satelliten. Wenn sich in einer Region Wasser ansammelt, sprich dort die Masse wächst, verändert sich auch die Satellitenbahn.» Die Abweichung sei zwar minimal – in der Grössenordnung eines Haares – aber messbar. «So können wir sagen, wann und wo Wasserspeicher volllaufen», sagt Hydrologe Andreas Güntner vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam. «Diese neuen Daten wollen wir mit vorhandenen Informationen kombinieren und damit die Katastrophenabwehr unterstützen.»
Auch bei Dürren einsetzbar
Bei einer Dürre funktioniert das System ähnlich, nur bleibt hier mehr Zeit, da sich eine Dürre über Wochen ankündigt. In diesem Fall ist es wichtig zu wissen, wie viele Wasserreserven noch zur Verfügung stehen um rechtzeitig Wassersparmassnahmen zu verordnen und Ernteausfälle zu verhindern. Neben der Beobachtung akuter Naturereignisse hoffen die Forscher, dass die aufbereiteten Daten dereinst noch weitere Anwendungen ermöglichen, etwa im Ressourcenmanagement.
Erstes «Horizon 2020»-Projekt unter Berner Leitung
Die Universität Bern koordiniert mit EGSIEM erstmals ein Forschungsprojekt im Rahmen des EU-Programms «Horizon 2020». 58 Forschungsgruppen hatten sich für die Projektausschreibung im Bereich Erdbeobachtung beworben, nur vier haben letztlich EU-Gelder erhalten. Das von der Universität Bern initiierte Projekt EGSIEM wurde mit der höchstmöglichen Punktzahl bewertet. Es erhält insgesamt knapp 2,5 Millionen Euro. Neben den Universitäten Bern und Luxemburg beteiligen sich das Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (D), die Technische Universität Graz (A), die Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (D), das Centre National d’Études Spatiales (F), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (D) und Géode & Cie (F) an EGSIEM. Für die Vorbereitung hat Projektleiter Adrian Jäggi vom AIUB eine Anschubfinanzierung durch die Universität Bern erhalten und wurde zudem durch das Schweizer Informationsnetzwerk Euresearch unterstützt. Als Koordinator von EGSIEM hat er sowohl die Projektverantwortung wie auch den wissenschaftlichen Lead inne. (Universität Bern/mc/pg)