Lärm, Staub und Kompromisse

Lärm, Staub und Kompromisse
(Foto: unsplash, Josue Isai Ramos Figueroa , Unibas)

Von Angelika Jacobs, Universität Basel

Basel – Wie viel Dauerlärm vertragen wir, ohne krank zu werden? Wie sauber muss unsere Atemluft sein? Grenzwerte sollen die Bevölkerung schützen, bergen aber auch Konflikte.

Das Dröhnen schwillt an. Die Maschine steigt in sanfter Kurve in die Höhe. Der Neubau des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts Swiss TPH liegt in der Flugschneise des Euroairports bei Basel. Je nach Tageszeit tosen die Flieger im Fünf- Minuten-Takt über das Gebäude. Ein passender Ort, um über Lärmgrenzwerte zu sprechen. Hier forscht der Umweltepidemiologe Martin Röösli – vor allem zu den Themen Mobilfunk und Lärm. Er hat unter anderem an einem Bericht der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung EKLB mitgearbeitet. Die Empfehlung: Die Schweiz braucht neue Lärmgrenzwerte. Der Bericht liegt nun seit bald zwei Jahren beim Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK. Passiert ist bisher nichts.

Die Grenzwerte für Strassen-, Eisenbahn- und Fluglärm gliedern sich nach der Nutzung des jeweiligen Gebiets, etwa durch Industrie, als Erholungszone oder als gemischter Gewerbe- und Wohnraum. Für typische Schweizer Innenstädte liegt die Belastungsgrenze bei 65 Dezibel tagsüber und 55 Dezibel nachts. Die Werte stammen aus den 1980er-Jahren. «Damals gab es keine Lärmforschung, sondern nur subjektive Befragungen», sagt Martin Röösli. «Es galt das Prinzip: Damit ein Geräusch als zu laut eingestuft wurde, mussten es mindestens 20 Prozent der Befragten als störend empfinden.»

Ab wann ist es schädlich?
Anders kommen die Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO zustande. Sie liegen tiefer als die der Schweiz, nämlich für den Strassenverkehr bei 53 Dezibel tagsüber und 45 Dezibel nachts, für Fluglärm sind sie sogar noch strenger. Die Werte richten sich nicht nur nach der Frage: «ab wann stört es?», sondern «ab wann ist es schädlich?» Beantworten lässt sich das heute dank epidemiologischer Langzeitstudien besser als vor 40 Jahren: Dauerlärm, vor allem nachts, kann psychischen und physiologischen Stress auslösen und damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht, Diabetes sowie Depressionen begünstigen.

«Man könnte meinen, dass Gesundheitsschäden sprunghaft ansteigen, wenn die festgelegten Grenzwerte überschritten werden. Dem ist aber nicht so.»

Martin Röösli

Ginge es nach der Kommission für Lärmbekämpfung, sollte auch die Schweiz die Lärmgrenzwerte senken: etwa im gemischten Gewerbeund Wohngebiet nachts auf 47 statt 55 Dezibel. Aber wie kommt es zu diesen Zahlen? «Man könnte meinen, dass Gesundheitsschäden sprunghaft ansteigen, wenn die festgelegten Grenzwerte überschritten werden», so Röösli. Dem sei aber nicht so. «Vielmehr haben wir es mit kontinuierlichen Kurven zu tun.»

Wertvolle Langzeitdaten
Wo Blechlawinen durch die Stadt rollen, ist es nicht nur laut. Die Luft macht auch nicht gerade Lust, tief durchzuatmen. Die Menschen, die an den Hauptverkehrsachsen wohnen, sind also zusätzlich zum Lärm auch den Abgasen ausgesetzt.

Was das mit ihnen macht, erforscht Nicole Probst-Hensch, Professorin für Epidemiologie und Public Health am Swiss TPH und der Universität Basel. Seit Anfang der 1990er-Jahre führt sie mit Kolleginnen und Kollegen die Kohortenstudie «Sapaldia» durch: Die Forschenden befragen seit damals die immer gleiche Gruppe von Personen in der Schweiz zu ihrer Lebensweise und ihrer Gesundheit.

Diese regelmässig erhobenen Daten fliessen zusammen mit Luftmesswerten von den jeweiligen Wohnorten der Befragten in mathematische Modelle. So lassen sich Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und Gesundheitsfolgen aufdecken. Die «Swiss Cohort Study on Air Pollution and Lung and Heart Diseases in Adults» hat wichtige Erkenntnisse geliefert und soll auch weiterhin fortgesetzt werden, mittlerweile eingebettet in internationale Projekte mit demselben Ziel.

All diese Studien zeigen ein klares Bild: Je höher die Belastung, desto höher unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegsprobleme und Diabetes. Aber auch hier: Wie legt man einen Grenzwert fest, wenn es keine Schwelle gibt, unterhalb derer Gesundheitsfolgen völlig ausbleiben?

Die «heisse Kartoffel»
Es ist harte, statistische Arbeit, aus dem Mix verschiedener Umwelteinflüsse diejenigen zu errechnen, die man aufgrund ihres Schadenpotenzials zwingend regulieren muss. Einige davon könnten auch in Kombination schädlicher sein als allein: «Ein wichtiger Fokus unserer Forschung liegt auf Wechselwirkungen und dem Zusammenwirken verschiedener Schadstoffe», so Nicole Probst-Hensch.

«Die maximal zulässige Belastung sollte so festgelegt sein, dass sie auch die Schwächsten schützt.»

Nicole Probst-Hensch

Noch komplexer wird es, wenn man individuelle Unterschiede in der Bevölkerung berücksichtigt, wie etwa Vorerkrankungen oder eine genetische Vorbelastung. «Deshalb sollte die maximal zulässige Belastung so festgelegt sein, dass sie auch die Schwächsten schützt», sagt die Umweltepidemiologin. Und doch liegen die Grenzwerte nicht bei null.

Wie viel Lärm und Luftschadstoffe erlaubt sind, beruht auf Kompromissen. Das wird im Gespräch mit Martin Röösli klar, der die Verfahren zur Festsetzung solcher Obergrenzen gut kennt. Denn sie müssen sich die Waage halten mit anderen Bedürfnissen der Gesellschaft, etwa nach Mobilität und Wohnraum. «Grenzwerte haben grosse Auswirkungen, auch ökonomisch. Zum Beispiel darf man dort, wo Grenzwerte regelmässig überschritten werden, keine neuen Wohnungen bauen.» Aufgrund solcher und ähnlicher Überlegungen wäre es denkbar, dass die politische Diskussion zur Anpassung der Schweizer Grenzwerte gar zu deren Erhöhung führen könnte. Womöglich stecken derlei Befürchtungen hinter der Tatsache, dass der Bericht der EKLB einer «heissen Kartoffel» gleicht, die niemand anzurühren wagt.

Auch Nicole Probst-Hensch spricht sich trotz der Gesundheitsrisiken für eine massvolle Regulierung aus. So schädlich die Verkehrsabgase auch sind: Feinstaub und Russ begegnen uns auch in unseren eigenen vier Wänden, wenn wir Kerzen oder ein Cheminée anzünden. «Kaminfeuer und Kerzen tragen aber auch zum Wohlbefinden bei. Man kann die Lüftung beim Cheminée verbessern. Die Nutzung einzuschränken, halte ich nicht für sinnvoll.»

Striktere Grenzwerte sind denn auch nur eines von vielen Anliegen von Kommissionen wie der EKLB: Technische Weiterentwicklung könnte helfen, verschiedene Bedürfnisse zu vereinbaren, ist Röösli überzeugt. Leisere Autoreifen, Flüsterasphalt, schalldichtere Fenster kombiniert mit Lüftungstechnik, die gesäuberte Luft von aussen in Innenräume transportiert. Manches davon bemerkt man bereits im neuen Gebäude des Swiss TPH. Während es Gesprächs dröhnten vermutlich rund ein Dutzend Flugzeuge über das Institut hinweg. Hören konnte man sie nicht. (Universität Basel/mc/ps)

Nicole Probst-Hensch
ist Professorin für Epidemiologie und Public Health an der Universität Basel und leitet das Departement «Epidemiology and Public Health» sowie die Einheit «Exposome Science» am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH)

Martin Röösli
ist Professor für Umweltepidemiologie an der Universität Basel und Leiter der Einheit «Environmental Exposures and Health» am Swiss TPH.

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