Latsis-Preis 2019 geht an Dominik Hangartner
Zürich – Der Politikwissenschaftler Dominik Hangartner untersucht die Auswirkungen der Migrationspolitik und schlägt Verbesserungen vor. Für seine Forschung wird der Professor der ETH Zürich vom Schweizerischen Nationalfonds mit dem Nationalen Latsis-Preis ausgezeichnet.
«Wir bringen kühle Analyse in eine heisse Debatte. Wir zeigen datenbasiert und computergestützt, was im Migrationsbereich funktioniert, und was verbessert werden kann.» Dominik Hangartner und sein Forschungsteam untersuchen mittels Datenerhebungen und -analysen, welche Wirkungen Massnahmen in der Migrationspolitik haben. Zum Beispiel konnten sie belegen, dass Menschen, deren Einbügerungsgesuch knapp angenommen wurde, sich schneller und umfassender in die Schweizer Gesellschaft integrieren als solche, deren Gesuch knapp abgelehnt wurde. Die exzellente empirische Forschung von Dominik Hangartner steht beispielhaft für das, was die Sozialwissenschaften im 21. Jahrhundert leisten können. Deshalb verleiht ihm der Schweizerische Nationalfonds (SNF) im Auftrag der Latsis-Stiftung den Nationalen Latsis-Preis 2019.
Algorithmus erhöht Jobchancen von Asylsuchenden
Die Arbeit von Dominik Hangartner und der Forschungsgruppe am Immigration Policy Lab der ETH Zürich bewegt sich nicht nur inhaltlich am Puls der Zeit, sondern auch organisatorisch. So gibt es mehrere Projektmanagerinnen und Spezialisten für Datenanalyse. «Wir betreiben Forschung als Teamsport», sagt Hangartner. Und das Team will der Gesellschaft etwas zurückgeben, das in ganz konkreten Projekten umgesetzt wird. Seit vergangenem Jahr testet es zusammen mit dem Staatssekretariat für Migration einen Algorithmus, der Asylsuchende auf die Kantone verteilt. Und zwar so, dass die Wahrscheinlichkeit möglichst hoch ist, dass sie eine Arbeitsstelle finden.
Die Versuchsanordnung entspricht derjenigen von Medikamententests. Es gibt eine Versuchsgruppe und eine Kontrollgruppe, die je 1000 Familien umfassen. Die Mitglieder der Kontrollgruppe werden wie bis anhin unabhängig von ihren Erwerbschancen auf die Kantone verteilt. Die Probanden wissen nicht, zu welcher Gruppe sie gehören. So wird ein Placeboeffekt verhindert. Ziel des Tests ist die Evaluation und Verbesserung des Algorithmus, sodass er allenfalls später breiter angewendet werden kann. Vom Bund wie auch von anderen Staaten.
Hangartners Team macht also Grundlagenforschung für die Gesellschaft nutzbar. Die Befunde der Forschenden erscheinen regelmässig in renommierten wissenschaftlichen Publikationen. Gleichzeitig bringt das Team in Zusammenarbeit mit den Behörden die Massnahmen im Migrationsbereich schon allein durch seine Forschungsfragen und Reflexionen weiter. Und natürlich mit seinen Modellen und Daten. Die entwickelten Computercodes – wie etwa diejenigen aus dem Algorithmus-Test – werden allen Forschenden kostenlos zugänglich gemacht. «So lassen sie sich für weitere Fragestellungen nutzen. Und andere Forschende können unsere Ergebnisse reproduzieren», erklärt Dominik Hangartner. Seine Forschungsprojekte sind damit auch vorbildhaft für zwei wichtige Trends in der Wissenschaft: für Open Access, den unbeschränkten Zugang zu wissenschaftlicher Information, und für die Wiederholbarkeit empirischer Studien.
Preisgeld kommt Griechenland zugute
Dominik Hangartner will seine Forschung auch in Zukunft so ausrichten, dass sie in gesellschaftliche Anwendung mündet. «Die empirischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sollten nicht nur Existierendes evaluieren, sondern ihr Wissen auch für neue Anwendungen fruchtbar machen.» Er nimmt dafür ein weiteres seiner Projekte als Beispiel. Bei diesem beobachtete sein Team, ob und wer bei der Stellensuche auf einer Rekrutierungsplattform diskriminiert wurde. Wichtig sei nun aber, dass auch der zweite Schritt gemacht werde. Die Erkenntnisse aus dem Monitoring müssten in konkrete Vorschläge zur Neugestaltung der Rekrutierungsplattform übersetzt werden, um in Zukunft Diskriminierung zu minimieren.
Aktuell forscht Hangartners Team unter anderem in Griechenland. Es konnte bereits die kurzfristigen Konsequenzen aufzeigen, welche die Migrationsbewegungen auf den griechischen Inseln in der Nordägäis hatten, wo in den letzten Jahren besonders viele Geflüchtete durchgereist sind: Ein deutlicher Anstieg der feindlichen Haltung gegenüber Migrantinnen und Migranten bei der Bevölkerung und eine breite Unterstützung restriktiver Asylpolitik. Die Forschenden wollen nun auch die langfristigen Konsequenzen beobachten. Das Preisgeld der Latsis-Stiftung werden sie für dieses Projekt verwenden. «Hier schliesst sich ein Kreis», sagt Hangartner. Denn die Gründer der Stiftung kommen aus Griechenland. (SNF/mc/pg)
Nationaler Latsis-Preis
Kurzbiografie
Dominik Hangartner wurde 1981 in Zug geboren und ist in Luzern aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Bern. Nach Forschungsaufenthalten an der Universität Harvard, an der Universität Washington in St. Louis und an der Universität California-Berkeley schloss er 2011 das Doktorat in Sozialwissenschaften an der Universität Bern ab. Im gleichen Jahr wurde er als Assistenzprofessor an die London School of Economics berufen und 2013 zum ausserordentlichen Professor befördert. 2017 folgte der Wechsel an die ETH Zürich. Aktuell ist Dominik Hangartner ausserordentlicher Professor für Public Policy an der ETH Zürich und der London School of Economics sowie Ko-Direktor des Immigration Policy Lab (IPL), das von der ETH Zürich und der Universität Stanford betrieben wird. Mehrere seiner Projekte wurden vom SNF unterstützt. Von 2018 bis 2022 ist er als Projektleiter am Nationalen Forschungsschwerpunkt «On the Move» des SNF beteiligt. Ausserdem hat er einen Förderbeitrag des Europäischen Forschungsrats (ERC Starting Grant) erhalten und wurde mit dem Philip Leverhulme Prize ausgezeichnet. Dominik Hangartner ist verheiratet und lebt in Zürich.
Nationaler Latsis-Preis
Der Nationale Latsis-Preis wird seit 1983 jährlich durch den SNF im Auftrag der Internationalen Latsis-Stiftung verliehen, einer 1975 gegründeten gemeinnützigen Non-Profit-Organisation mit Sitz in Genf. Er wird an unter 40-jährige Forschende vergeben, die in der Schweiz tätig sind. Der mit 100’000 Franken dotierte Preis ist eine der renommiertesten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Die 36. Preisverleihung findet am 16. Januar 2020 im Rathaus Bern statt.