Mikio Kumada.
Von Mikio Kumada, Global Strategist LGT Capital Management
Die in den USA gerade eröffnete Berichtssaison dürfte einmal mehr zeigen, dass Unternehmen aus den traditionellen Industrieländern in der Lage sind, auch in einem Umfeld bescheidenen Wirtschaft- und Kreditwachstums solide Erträge zur erwirtschaften. Dazu kommt, dass in den USA und Japan das Ertragsniveau den Höchststand des letzten Booms überschritten bzw. erreicht hat, während die Aktienkurse und Bewertungen dieser Entwicklung noch hinterherhinken.
Seit der internationalen Finanzkrise von 2007-2008 wächst die Weltwirtschaft nur in sehr bescheidenem Ausmass. Die westlichen Banken, ähnlich wie ihre japanischen Pendants einige Jahre zuvor, waren primär damit beschäftigt, Altlasten zu identifizieren, abzuschreiben und frisches Eigenkapital aufzutreiben – ein Prozess, der Kreditvergabe und wirtschaftliche Aktivität insgesamt einschränkt. Hohe Arbeitslosenraten im Schlepptau des «Subprime»-Debakels in Amerika und der «Eurokrise» in Europa haben den westlichen Konsum reduziert, während Japan zusätzlich zu seinen üblichen Problemen mit der Deflation ab März 2011 auch noch Natur- und Umweltkatastrophen biblischen Ausmasses erleben musste. Die Hoffung, dass Asien und die Schwellenländer als Ersatzkonsumenten «einspringen» würden, um die Weltwirtschaft auf Trab zu halten, hat sich zugleich nur zum Teil bewahrheitet.
Ertragslage in den Industrieländern hat sich deutlich schneller erholt, als die Konjunktur
Dennoch haben Unternehmen aus den traditionellen Industrieländern im Laufe der letzten Jahre gezeigt, dass sie in der Lage sind, auch in einem Umfeld bescheidenen Wachstums stetig solide Erträge zu erwirtschaften, während Firmen aus Schwellenländern mitunter zu stark von kreditfinanzierten Exzessen und/oder zyklischen und/oder spekulativen Rückenwinden abhängen (z.B. von rasant steigenden Rohstoff- und/oder Immobilienpreisen) – was als Geschäftsmodell in einem Umfeld bescheidenen Wachtrums nicht sehr nachhaltig ist. Die globale Berichtssaison für das zweite Quartal 2013, welche am Montag in den USA begann, dürfte diese Entwicklungen tendenziell einmal mehr unterstreichen. Dazu kommt, dass die Gewinnprognosen für Unternehmen aus Industrieländern immer noch eher zu tief sind, wie schon seit Jahren (umgekehrt sind sie für die «Wachstumsmärkte» oft zu hoch). Das heisst, dass auch die Aktienbewertungen in den «alten» entwickelten Volkswirtschaften in Wirklichkeit wahrscheinlich tiefer sind, als die auf den Konsensprognosen basierenden Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs) suggerieren – und umgekehrt könnten sie in den «aufstrebenden Wachstumsmärkten» nur so «günstig» aussehen, weil die Erwartungen immer zu hoch sind.
Aktienbewertungen immer noch attraktiv, implizieren potenziell deutlich höhere Kurse in der Zukunft
Die Attraktivität der Bewertungen lässt sich am besten am Beispiel der USA illustrieren. Auf Basis der Konsensschätzung für 2013 beträgt das KGV für den S&P 500 knapp 15, während der Durchschnitt seit 1954 bei 16.3 und seit 1995 bei 21.1 liegt. Wenn wir nun annehmen, dass der Konsens in etwa richtig liegt, dann müsste der US-Aktienindex bis Ende 2014 bei unveränderter Marktstimmung (KGV von 15) um 12% und im Falle einer «Normalisierung» in Richtung der langfristigen Normalwerte sogar um bis zu 47% höher notieren. Ähnlich sieht es übrigens auch in Westeuropa und Japan aus – mit dem Unterschied, dass die Aufwärtspotentiale dieser Märkte im Szenario «Normalisierung» noch viel grösser sind.
Steigende langfristige Zinsen können sogar konjunkturell stimulierend wirken
Mit anderen Worten: Die Marktbewertungen sind nicht nur attraktiv geblieben, sondern bieten auch einen Puffer für den Fall, dass die Weltkonjunktur in naher Zukunft enttäuschen sollte. Die jüngsten Makrodaten deuten jedoch tendenziell das Gegenteil an. Die Frühindikatoren notieren in den USA im positiven Bereich und haben sich in Japan deutlich aufgehellt, ebenso wie wichtige einige nachlaufende Barometer (insbesondere der US-Arbeitsmarkt). Selbst in Europa nimmt die Intensität der Rezession jetzt langsam ab. Die Angst, dass der jüngste Anstieg der langfristigen US-Zinsen die Konjunktur wieder abwürgen könnte, halten wir nach wie vor für übertrieben. Erstens sind die langfristigen US-Zinsen im Vergleich zum Niveau, auf dem sie aufgrund der konjunkturellen Situation notieren müssten, immer noch viel zu tief. Zweitens kann die Erwartung nachhaltig steigender Zinsen (ähnlich wie die Erwartung steigender Verbraucherpreise) zu «vorgezogenem» Konsum und Investitionen führen – und somit konjunkturell deutlich stimulierender wirken, als eine Situation, in der die Wirtschaftsakteure von immerwährenden Nullzinsen ausgehen
Aktienbewertungen und Ertragsniveau rechtfertigen weitere (sogar deutliche) Kursgewinne
Das KGV ist der wertadjustierte Preis, den Anleger für eine Aktie zu zahlen bereit sind, und damit letztlich ein Stimmungsindikator. Gemäss Konsens wird der Gewinn pro Aktie des S&P 500 in diesem Jahr 110.2 US-Dollar betragen, was aktuell ein KGV von knapp 15 ergibt. Das liegt rund 10% und 32% unter dem Durchschnittswert seit 1954 bzw. 1995. Damit wären bei verbesserter Stimmung (steigendes KGV) höhere Kurse auch ohne weiteres Gewinnwachstum historisch keinesfalls abnormal. Falls der Konsens (wie schon seit 2009) die Gewinne aber weiter unterschätzt, dann wären höhere Kurse auch bei unveränderter Stimmung (KGV stagniert bei 15) gerechtfertigt. Wenn wir annehmen, dass der Konsens in etwa richtig liegt und zudem eine gewisse «Normalisierung» der Marktstimmung in Richtung der historischen Durchschnitte stattfinden wird, so müsste der S&P 500 je nach Szenario bis Ende 2014 zwischen 12% und 47% zulegen. Problematisch wird es, wenn die zukünftigen Gewinne deutlich tiefer als erwartet ausfallen. Doch es gibt derzeit kaum Indizien, dass Konsens die Gewinne in den entwickelten Märkten überschätzt. Man kann es drehen, wie man will: Sofern in nächster Zeit keine scharfe Rezession eintrifft, sprechen Ertragskraft und Bewertung der Unternehmen weiterhin klar für eine anhaltende Hausse, insbesondere in den entwickelten Märkten.
US-Zinsen immer noch auf historisch extrem tiefem Niveau
Anleihenrenditen sollten langfristig die Inflation sowie zyklische und schuldnerspezifische Risiken abdecken. Kurz- bis mittelfristig können sie jedoch deutlich von diesem «angemessenen» Niveau abweichen, sei es aus wirtschaftspolitischen Gründen oder anderen ausserordentlichen Entwicklungen. Eine «Daumenregel» für das angemessene Renditeniveau setzt sich aus dem wirtschaftlichen Realwachstum (in den USA zuletzt 1.8%) und der Inflationsrate zusammen (zuletzt 1.4%), was aktuell für die USA 3.2% ergibt. Die Umlaufrendite zehnjähriger US-Staatsanleihen notiert aber mit 2.7% immer noch 0.5 Prozentpunkte unter dem «angemessenen» Niveau (für US-Anleihen mit kürzeren Laufzeiten ist diese Differenz noch grösser). Die Grafik (im PDF Seite 2, Umlaufrendite zehnjähriger US-Staatsanleihen – zu hoch oder zu tief?) zeigt langfristige Entwicklung dieser Differenz zwischen der tatsächlichen und der «angemessenen» Umlaufrendite: Sie ist zwar nicht mehr so extrem «defizitär» wie Anfang 2012, aber immer noch im deutlich negativen Bereich – die US-Zinsen sind also nach wie vor extrem tief. (LGT/mc/hfu)