Mikio Kumada.
Von Mikio Kumada, CIIA LGT Capital Management
Europa werde seine Krise schon in den Griff bekommen. Diese Hoffnung belebte im Oktober die Börsen. Die Entscheidung Athens vom Montag, eine Volksabstimmung über das jüngste Hilfspaket abzuhalten, holt jetzt die Märkte wieder in die Wirklichkeit zurück. Dabei lässt der jüngste Euro-Rettungsplan auch ohne das politische Manöver Athens zu wünschen übrig.
Die Börsen liefen im Oktober sehr gut, dank der Hoffnung auf einen umfassenden Plan zur Überwindung der Eurokrise. Der S&P 500 verbuchte mit einem Plus von 11% den grössten Monatsgewinn seit 1974. Der MSCI World Index stieg um 8,5%. Nach einer langen Phase relativer Schwäche preschten auch die Schwellenländer wieder vor, wie in einem risikofreundlichen globalen Umfeld auch nicht anders zu erwarten. Der MSCI Emerging Markets Index legte um 9% zu. Unter der Annahme, dass Europa seine Krise in den Griff bekommt und in keine Rezession hineinläuft, machen diese Marktentwicklungen auch Sinn.
Szenario eines griechischen Staatsbankrotts wieder auf dem Tisch
Leider könnte sich diese Annahme als zu optimistisch erweisen, wie die Märkte inzwischen wieder zu realisieren scheinen. Auf dem 14. Euro-Krisengipfel wurde letzte Woche entschieden, einen grossen Teil der griechischen Staatsschulden abzuschreiben und die europäischen Banken bis Mitte 2012 zu rekapitalisieren. Damit schien das Risiko einer noch tieferen Bankenkrise vorerst gebannt. Bedeutende Risiken wurden aber auch mit den jüngsten Beschlüssen nicht ausreichend abgedeckt. Dazu stellt jetzt die irritierende Entscheidung des griechischen Premierministers Georgios Papandreou, ein Referendum über den gerade angebotenen Schuldenschnitt abzuhalten, das Szenario eines unordentlichen Staatsbankrotts und Austritts Griechenlands aus der Währungsunion im Vordergrund. Die Gipfelbeschlüsse werden damit in Frage gestellt. Das Risiko einer Rezession bliebt angesichts der zahlreichen Unsicherheiten ebenfalls weiter bestehen.
Geldmangel bleibt wichtigstes Problem
Doch auch ohne den griechischen Abstimmungsplan hat das jüngste Euro-Rettungspaket seine Schwachstellen. Das wichtigste Problem: Die Europäische Finanzstabilitätsfazilität verfügt nicht über genügend Mittel, um einen möglichen Ansturm auf Italien und Spanien zu widerstehen. Die Stützungskapazität des EFSF soll zwar mittels eines Hebelmechanismus auf €1’000 Mrd. verfünffacht werden. Doch selbst EU-Präsident Herman Van Rompuy erklärte, dass diese erweiterte «Feuerkraft» auf «bestimmten Annahmen über Marktbedingungen» und «Anlegerreaktionen im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik» basiere. Wobei auch dieser Maximalbetrag nicht ausreicht, um im Notfall den Refinanzierungsbedarf Italiens und Spaniens über Mitte 2013 vollständig zu decken. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis die Märkte die «Feuerkraft» des EFSF zu testen beginnen, um zu sehen, ob es sich beim «Rettungsschirm» doch nicht nur um einen Papiertiger handelt.
«G20» als einzige neue Kapitalquelle für das Euro-Projekt
So bleiben als einzige mögliche Geldquellen zur Stützung der europäischen Rettungsplans der IWF und einige Staaten mit hohen Währungsreserven übrig, wie etwa China. Diese Kapitalgeber sollen in eine neue Zweckgesellschaft zum Aufkauf von teilweise gegen Verluste «versicherten» Anleihen angeschlagener Euroländer investieren. Ob die «Gruppe der 20» während des anstehenden Gipfeltreffens konkrete Hilfen anbieten wird, darf angesichts der jüngsten Entwicklungen bezweifelt werden.
Austerität wird grundsätzlich als Ausweg betrachtet
Ein generelles Problem besteht darin, dass in weiten Teilen Europas kein Weg der Austerität vorbeiführt. Die hoch verschuldeten Länder müssen den Gürtel enger schnallen und wirtschaftlich sinnvolle aber sozial unbequeme, Strukturreformen durchführen bzw. nachholen. Deutschland hat zudem deutlich gemacht, dass es keine weiteren (schuldenfinanzierten) Garantien einbringen wolle und das Gelddrucken durch die Europäische Zentralbank ablehne (Frankreich war eher bereit, diese Idee zu akzeptieren). Eine plötzliche Kehrtwende in Berlin erscheint hier eher unwahrscheinlich. Diese Grundhaltung, die in den industriellen Kernregionen Europas weitgehend geteilt wird, kann auf längere Sicht durchaus erfolgreich sein. In der nahen Zukunft wirkt sie allerdings wachstumshemmend. In welchem Masse sie sich auch in den Mittelmehrländern durchsetzen lässt, bleibt zudem abzuwarten. Wahrscheinlicher erscheint eine geldpolitische Lockerung durch die EZB. Doch die etwaige Wirkung geldpolitischer Stimulation könnte bald schon wieder verpuffen. So müssen wir wohl mit weiteren Turbulenzen in der Politik und an den Finanzmärkten in naher Zukunft rechnen.
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