Von Dr. Marc Palahí, Chief Nature Officer bei Lombard Odier Investment Managers
Unser Verständnis für die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von der Natur ist in den letzten Jahren wesentlich geworden, da Unternehmen, Regierungen und Aufsichtsbehörden die Bedeutung der naturbedingten Risiken erkannt haben. Wie PwC dieses Jahr meldete, hängt mehr als die Hälfte (55%) des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) mässig oder in hohem Masse von der Natur ab: Betrug diese Summe 2020 noch USD 44 Billionen, ist sie Schätzungen zufolge auf heute USD 58 Billionen gestiegen.
Dies macht deutlich, wie sehr unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unser künftiger Wohlstand von der Natur abhängen. Ihr wahrer Wert wird jedoch oft unterschätzt, denn sie ist mehr als nur ein Wirtschaftsgut. Sie ist die Grundlage des menschlichen Lebens. Im Grunde ist sie unser wertvollstes Gut. Organisationen müssen ihre Praktiken jetzt reformieren, um den Rückgang der Natur aufzuhalten und umzukehren, und eine blühende globale Wirtschaft zu schaffen, die die Natur wiederherstellt und regeneriert.
Es ist an der Zeit, unsere Wirtschaft zu überdenken. Die Klima- und Biodiversitätskrise sowie die wachsenden sozioökonomischen Ungleichheiten sind unterschiedliche Folgen ein und desselben Grundproblems: unseres Wirtschaftssystems. Wir brauchen ein neues Paradigma, das die Natur in den Mittelpunkt unserer Wirtschaft stellt und den ökologischen Wandel ermöglicht.
Verständnis und Antizipation der Berichtslandschaft
Anzahl, Art und Umfang der klimarelevanten Regelungen sind in den letzten zehn Jahren exponentiell gestiegen. Es besteht die weit verbreitete Erwartung, dass die Klimaberichterstattung für börsennotierte Unternehmen in den kommenden Jahren standardisiert wird. In der Tat berichten viele bereits im Einklang mit den Empfehlungen des TCFD oder den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Die Vorstellung der endgültigen Empfehlungen der Taskforce on Nature-related Financial Disclosure (TNFD) auf der New Yorker Klimawoche im September warf ein Schlaglicht auf die Auseinandersetzung von Unternehmen mit naturbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen. Die TNFD dürfte diese Überlegungen nun in die tägliche Arbeit und Berichterstattung der Unternehmen katapultieren.
Es liegt auf der Hand, dass die Erwartungen der Investoren und der Aufsichtsbehörden an die Initiativen der Unternehmen zur Einbeziehung von Umweltaspekten in ihre Entscheidungsfindung und Berichterstattung steigen. Dabei müssen Vorstände, Führungsteams und engagierte leitende Mitarbeiter für Nachhaltigkeit und Natur sorgfältig zusammenarbeiten. Dies wird ihnen ermöglichen, die Abhängigkeit ihrer Organisationen von der Natur vollständig zu verstehen und sich auf grössere Offenlegungserwartungen in der Zukunft vorzubereiten.
Verbindung von Natur und Finanzen
Viele der Lösungen, die für den Übergang zu einer sauberen, schlanken, integrativen und umweltfreundlichen Wirtschaft erforderlich sind, existieren bereits. Unternehmen müssen nun Wege finden, diese Lösungen zu finanzieren und zu mobilisieren. Dies kann beschleunigt werden, indem sich Finanzinstitute das Fachwissen eines Chief Nature Officers (CNO) sichern. Dieser dient dazu, Natur und Finanzen miteinander zu verbinden und Unternehmen zu unterstützen, die mit wachsenden Anforderungen und Verantwortlichkeiten konfrontiert sind, da die Natur immer stärker auf ihrer Agenda verankert wird. holistiQ Investment Partners, die Plattform für nachhaltige Anlagen von Lombard Odier Investment Managers, die auf einer Partnerschaft mit Systemiq basiert, war das erste Finanzinstitut, das dies in diesem Jahr getan hat, indem es eine Funktion geschaffen hat, die Natur und biologische Vielfalt zentral in die Strategie und Investitionsagenda des Unternehmens integriert.
Banken und Investmentmanager können durch die Kanalisierung von Kapital einen Wandel im grossen Stil bewirken, aber es ist wichtig, dass sie genau wissen, wie sie dies effektiv tun können. Hier ist eine engagierte, auf Wissenschaft und Forschung basierende Funktion von entscheidender Bedeutung. Laut einer PwC-Studie hat sich die Zahl der Chief Sustainability Officers (CSOs), einer Position, die für die gesamte Umweltstrategie eines Unternehmens verantwortlich ist, im Jahr 2021 verdreifacht. Wir werten dies als ein positives Zeichen dafür, dass diese Funktion auf höchster Ebene von Unternehmen zunehmend geschätzt und gebraucht wird. Zugleich hoffen wir, dass die Chief Nature Officers einen ähnlichen Weg einschlagen werden.
Unternehmen müssen sich für die Natur als unser wertvollstes Gut einsetzen, um ihren Stakeholdern ein Verständnis für unsere wirtschaftliche Abhängigkeit von der Natur zu vermitteln und die Chancen aufzuzeigen, die naturbasierte Lösungen und die zirkuläre Bioökonomie für den Übergang zu einer klima- und naturverträglichen Welt bieten. Die Funktion des Chief Nature Officers, der Natur und Biodiversität zentral in die Strategie und Investitionsagenda integriert, ist der nächste wichtige Schritt auf dem Weg zu einer weitsichtigen, naturpositiven Unternehmensführung. (Lombard Odier IM/mc/ps)