MainFirst: Die Weltwirschaft im (Oster-)Stau
Man fährt kurz an und muss wieder anhalten. Das nervenaufreibende Stop-and-Go am Gotthard und anderswo lässt sich auf die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung übertragen. Das Motto des Autofahrers im Stau gilt auch am Kapitalmarkt: Ruhe bewahren!
von Thomas Meier, MainFirst, Fondsmanager des MainFirst Global Dividend Stars
Die letzten drei Jahre waren geprägt von grossen Umwälzungen. Das Coronavirus setzte zunächst die Welt in eine Art Schockstarre, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben kam praktisch zum Erliegen. Der Stillstand führte zu Anpassungen in der gesamten Weltwirtschaft: Kurzfristige Entlassungen, vor allem in den USA, Stornierungen von Aufträgen und Anpassungen der Produktionskapazitäten. Einige Branchen profitierten von der Abschottung, doch insgesamt wurde die Wirtschaft getroffen: Von Vollgas auf Vollbremsung.
Die Stützungsmassnahmen der Regierungen und Notenbanken führten zu einem Nachfrageschub nachdem die Grenzen wieder geöffnet wurden. Doch die Lagerbestände der Produzenten und Händler leerten sich schnell. Diese wiederum versuchten, ihre Produktion rasch hochzufahren und ihre Lager zu füllen. Im Verkehrsjargon würde man dies als «Kickdown» oder «Kavaliersstart» bezeichnen, und so führten diese Wiederanlaufmassnahmen zu erheblichen Verwerfungen. Ein prominentes Beispiel dafür sind die Frachtraten für Container, die sich innerhalb kürzester Zeit um ein Vielfaches erholt haben. Gleichzeitig hatten einige Regionen, wie zum Beispiel China, weiterhin mit Corona-bedingten Fabrikschliessungen zu kämpfen.
Weihnachtsschmuck kommt an Ostern
Die Folge waren stark steigende Preise und massive Verzögerungen in den Lieferketten. Diese Verwerfungen wurden durch die pandemiebedingten Veränderungen im Konsumentenverhalten noch verstärkt. Die logistischen Engpässe führten wiederum zu massiven Verzögerungen, so dass mancherorts in Asien produzierter Weihnachtsschmuck erst zu Ostern an die Kunden ausgeliefert wurde. Generell versuchten die Unternehmen, ihre Lager in den Phasen starker Nachfrage nach der Eröffnung schnell zu füllen. Als wäre dies nicht Herausforderung genug, folgte der nächste Schock: Der Krieg in der Ukraine mit seinen vielschichtigen Auswirkungen führte erneut zu erheblichen Verwerfungen. Vor allem stark steigende Rohstoffpreise, der zwischenzeitlich eingetretene Paradigmenwechsel der Zentralbanken und stark steigenden Zinsen führten vor allem in Europa zu einem Wiederaufleben der Konjunktursorgen.
Korrektur der Lagerbestände
Verspätet eintreffende Waren stiessen auf ein in der Zwischenzeit verändertes Konsumverhalten und bereiteten den Unternehmen grosse Kopfschmerzen. So mancher Container mit Küchenutensilien fand in der Zeit nach der Pandemie keinen Abnehmer, und in einigen Fällen führten Produkte aus nicht nachgefragten Warenkategorien bei Einzelhändlern wie Walmart oder Target zu Abschreibungen in Milliardenhöhe. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die Kaufrückhaltung der Unternehmen hoch bleiben wird. Auch die Erwartung einer sich abschwächenden Konjunktur und Konsumentenstimmung führt zu Zurückhaltung. Derzeit sind die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten vorsichtigen, da die Lagerbestände noch korrigiert werden und es keine genauen Informationen über die Nachfragemuster gibt. Die Tücke der aktuellen Situation zeigt sich auch darin, dass zum Beispiel viele Modehändler auf hohen Lagerbeständen sitzen bleiben und diese abbauen, während man auf einen Neuwagen weiterhin lange warten muss.
Ohne starken Aufschwung droht wieder Vollbremsung
Sollte sich die aktuelle Kapitalmarkteinschätzung einer konjunkturellen Abschwächung in diesem Jahr bewahrheiten und entgegen der vorherrschenden Meinung keine deutliche Korrektur folgen, ist damit zu rechnen, dass auch dieses Mal schnell der Fuss von der Bremse genommen und das Gaspedal wieder durchgedrückt wird, mit allen vielschichtigen Konsequenzen für die Wirtschafts- und Kapitalmarktakteure.
Ich gehe davon aus, dass die kurzfristigen und heftigen Schwankungen im wirtschaftlichen Verhalten weiter anhalten werden. Die Zeiten längerfristiger Zyklen dürften auf absehbarer Zeit vorbei sein. Die Kakophonie vielfältiger Herausforderungen dürfte auch mittelfristig nur zu ruckartigen Fortschritten führen. Mein Tipp: Bewahren Sie Ruhe – ob im Auto oder an der Börse. (MainFirst/mc)