Manuel Klarmann, CEO und Co-Founder Eaternity, im Interview

Manuel Klarmann

Manuel Klarmann, CEO und Co-Founder Eaternity. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Klarmann, die Klimadebatte, der Klimawandel, die Erderwärmung ist – endlich ist man versucht zu sagen – in der breiten Bevölkerung angekommen. Spüren Sie ein steigendes Interesse am Thema, welchen Einfluss unsere Ernährung auf das Klima hat?

Manuel Klarmann: Ja. Noch vor Greta Thunberg sagten in einer Umfrage in Deutschland 37%, sie würden auf Fairtrade achten, 41% auf Bio und 51% wünschten sich eine CO2-Kennzeichnung für Lebensmittel. Dann kam Greta – und gefühlt hatten wir eine 10 Mal höhere Nachfrage nach unseren Leistungen. Wo wir zuvor jede Woche auf eine Anfrage eingehen mussten, kommen jetzt in der Regel mehrere am Tag.

Geht es um Treibhausgase beherrscht der Flugverkehr die Nachrichtenspalten. Welchen Anteil aber hat die Nahrungsmittelversorgung am weltweiten Treibhausgasausstoss?

Vor einigen Wochen wurde der IPCC-Spezialreport mit Fokus auf die Ernährung veröffentlicht. Im Grossen und Ganzen bestätigt er unsere Aussagen, nämlich die Dringlichkeit, dass wir bei unseren Ernährungsgewohnheiten anpacken müssen, um die Klimaziele noch erreichen zu können. 25-30% aller Treibhausgase stammen aus der Ernährung. Bis zu 8 Gigatonnen CO2eq (Äquivalente)-Reduktionspotential soll es geben, wenn wir darauf achten, weniger Fleisch und Milch zu konsumieren. Das sind weltweit mehr als 15% aller Treibhausgase. Oder anders formuliert: Knapp eine Tonne CO2eq pro Person. Eine Tonne, welche wenn wir sie nicht reduzieren, das Ziel von netto 0 Tonnen CO2eq pro Person zu erreichen, unmöglich macht. Der derzeitige Trend geht jedoch aufgrund des Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum und der bevorstehenden Ernteeinbussen durch den Klimawandel auf 20 Gigatonnen CO2eq bis 2050 zu.

«Generell wird überschätzt, welchen Einfluss Transporte – insbesondere die mit dem Schiff – auf die Bilanz haben.»
Manuel Klarmann, CEO und Co-Founder Eaternity

Neulich ein lauer Sommerabend mit netten Gästen – und Speisen wie Avocado aus Peru, Lachs aus Alaska, Rindfleisch aus Paraguay, Peperoni aus Spanien, Wein aus Argentinien. Wie übel ist die Bilanz eines solchen Abends?

Generell wird überschätzt, welchen Einfluss Transporte – insbesondere die mit dem Schiff – auf die Bilanz haben. 100g Avocado aus Peru weisen einen Wert von 79g CO2eq auf, dazu kommt der Transport mit 28g CO2eq. Bei 100g Peperoni sind es 69g CO2eq und der Transport 36g CO2eq. 100g Rindfleisch weisen einen Wert von 1688 CO2eq auf, der Transport schlägt mit 41g CO2eq zu Buche.

Betrachtet man darüber hinaus, wie «übel» diese Bilanz ist, muss man sie fair mit dem durchschnittlichem Lebensmittel mit selber Nährwertbilanz vergleichen. Das wäre im vorliegenden Fall 135% mehr CO2. D.h. man verschlechtert seine Klimabilanz um 1.6 kg CO2. Gut wäre es, wenn man unter dem Durchschnitt abschneidet, das verbessert die Situation prinzipiell. Richtig klimafreundlich bezeichnen wir das Essen, wenn es sogar 40% unter dem Durchschnitt abschneidet. Würden wir nur noch solche Lebensmittel essen, können wir das 1.5 Grad-Ziel noch erreichen.

«Den grössten Beitrag zur CO2-Bilanz liefern die Entwaldung, die Methanemissionen von Wiederkäuern und die Futtermittelproduktion.»

Welches sind denn die wichtigsten Faktoren bei der Berechnung der Umweltbilanz von Lebensmitteln?

Den grössten Beitrag zur CO2-Bilanz liefern die Entwaldung, die Methanemissionen von Wiederkäuern und die Futtermittelproduktion. Alles in allem handelt es sich hauptsächlich um Probleme der Tierhaltung. Zur Methode der Berechnung ist es das Wichtigste, herauszufinden in welchen Anteilen unterschiedliche Lebensmittel in der Fertigproduktion oder in Menus vorhanden sind. Dann geht es weiter mit Transport, Verpackung, Konservierung, Produktion und Verarbeitung. Bei der Wasserbilanz ist insbesondere die Herkunft wichtig.

Eaternity macht klar, wie die Klimabilanz einer Mahlzeit ist, zeigt aber auch auf, wie komplex die ganze Kette von der Produktion bis auf den Teller ist. Lässt sich dennoch auf einen Nenner gebracht sagen, wie wir uns hierzulande am klimafreundlichsten ernähren könnten?

Mit dem Eaternity Score sind wir jetzt auch mit dem ersten Produkt bei Coop vertreten (Veganz Choc-Bar). Das Score zeigt, dass 3 Sterne für das Erreichen des Klimaziels reichen. So zieht sich das für alle Produkte oder Mahlzeiten durch. Jeder der der Sache selbst nachgehen will, bekommt kostenlos Zugang zu http://app.eaternity.ch, kann die Berechnungen nachvollziehen und gerne auch eigene erstellen.

Foto: zvg

Wie kam es 2014 zur Gründung von Eaternity?

Die Idee hatte 2008 die Mitgründerin Judith Ellens. Die Firmengründung 2014 war eine Formalität, um grössere Verträge abschliessen und mit unseren Leistungen wie ein normales Business operieren zu können. Ausschlaggebend war damals unser erster grosser Kunde, die Compass Group (Schweiz) AG, welche seither alle ihre Restaurants punktgenau auf ihre Emissionen monatlich misst und die CO2-Reduktion an ihren Standorten aktiv bewirbt.

In den letzten 10 Jahren hat Eaternity die weltweit grösste Datenbank für Lebensmittel aufgebaut, mit welcher der CO2-Ausstoss von über 76’000 verschiedenen Gerichten berechnet werden kann. Auf welcher Basis erfolgt die Berechnung der Umweltbilanz der Lebensmittel?

Das ist eine grosse Kollaboration zwischen all den wissenschaftlichen Arbeiten (in der Regel Lebenzyklus-Inventardaten), welche durch private und öffentliche Forschungseinrichtungen zur Bilanzierung von Lebensmittel entstanden sind. Darunter finden sich z.B. ecoinvent, Quantis, Agroscope, Agribalyse, Blonk, ZHAW, die ETH oder das Fibl. Eaternity verwendet diese als Datenbasis, um darüber hinaus noch dynamische Modellierungen von Transportbilanzen, Herkünften und Importen/ Saisonalitäten zu ergänzen.

Können Sie uns eine Lebenszyklusschätzung an einem konkreten Beispiel schildern?

Ein Inventar ist z.B. die Fertigung eines Transportmittels, ein weiteres dessen CO2-Ausstoss durch seinen Benzinverbrauch. Auch das Kühlaggregat im Fahrzeug gehört dazu. Das Ganze wird parametrisiert (wie viele Kilo wurden wie weit bei welcher Temperatur transportiert) und berechnet. Die Summe der Prozesse kann auch mal mehrere Hundert erreichen. Die Kunst der Lebenszyklusanalyse ist es, das entsprechende Domänenwissen zu haben. Mit diesem kann an den richtigen Stellschrauben das Modell angepasst werden, damit es die Realität möglichst gut abbildet. Wenn ich einen Hochseedampfer bilanziere, spielt es keine Rolle ob die Passagiere Plastikstrohhalme verwenden.

Sie haben eine Software entwickelt, mit der Restaurants oder Kantinen den CO2-Fussabdruck von Menüs messen können. Welche weiteren Informationen erhalten die Gastronomen?

Neben der CO2-Bilanz weisen wir im besagten Eaternity-WebApp die Wasserbilanz, das Tierwohl, Regenwaldabholzung und die Gesundheit aus. Die Indikatoren liegen einer umfassenden Studie und Koordination zu Grunde, welche Faktoren nicht bereits abgedeckt werden und trotzdem wichtig sind, um die Vorteile von biologischen und gesunden Lebensmittel hervorzuheben. Geplant für nächstes Jahr ist ausserdem der Einbezug des kummulierten Arbeitsaufwands, um auch die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit einzubeziehen. Damit würden wir die wichtigsten Umweltaspekte unserer Ernährung abbilden.

Wie gross ist das «Spar»-Potenzial im Gastronomie-Bereich?

Mit der Stadt Zürich durften wir einen Restaurantwettbewerb durchführen. Sechs Betriebskantinen traten dabei gegeneinander an. Innerhalb von 2 Monaten bekamen sie die CO2-Emissionen transparent für alle Gerichte und Zutaten, sowie vorab etwas Hilfestellung für die Kommunikation. Gesamthaften schafften es die Kantinen, bei steigender Gästezufriedenheit im Durchschnitt knapp 20% der Emissionen zu reduzieren. Ein Betrieb schaffte sogar eine Reduktion von 43%. Das Ergebnis ist ein Meilenstein und gleichzeitig ein Ziel, welches andere Betriebe durchaus auch erreichen können.

«Endlich wird jeder ausnahmslos die CO2-Werte abfragen und die Berechnung nachvollziehen können. Wir erhoffen uns damit grosse Steine ins Rollen bringen zu können.»

Welche Pläne verfolgen Sie bezüglich den privaten Konsumenten? Es wäre ja ganz praktisch, wenn man die konkreten Informationen beim Einkaufen im Laden oder auch beim Online-Shopping zur Verfügung hätte.

Als Nächstes kommt die Kollaboration mit Codecheck an die Öffentlichkeit. Dabei werden den knapp 2 Millionen Nutzern monatlich für fast jedes Lebensmittel – im deutschsprachigen Handel – die CO2-Bilanz aufgezeigt. Zwar auf einer gröberen Berechnungsmethode als beim Eaternity Score, da wir mehr Abschätzungen machen müssen, dennoch aber sehr stichhaltig. Wie nennen das Projekt «Demokratisierung des Umweltwissens von Lebensmitteln», da es ausschlaggebend sein wird, ob sich die Ernährung politisch, medial und gesellschaftlich endlich auf Augenhöhe mit Stromgewinnung und Mobilität bewegen darf. Endlich wird jeder ausnahmslos die CO2-Werte abfragen und die Berechnung nachvollziehen können. Wir erhoffen uns damit grosse Steine ins Rollen bringen zu können.

Welche weiteren Pläne verfolgen Sie mit Eaternity. Wie weit sind Expansionspläne gediehen?

Die Entwicklung unserer Geschäftstätigkeit mit dem Eaternity Score steht im Fokus. Hier wollen wir möglichst schnell Kollaborationen mit den Supermärkten und ihren Eigenmarken finden. Hierzu sind wir parallel auf Finanzierungssuche sowie in der Akquise.

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