Marco Feusi, CEO HIAG, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Feusi, im letzten Finanzjahr wurde ein Grossteil von nicht-strategischen Immobilien, unter anderem in Aigle, Basel, Biberist, Bremgarten, Windisch und im Zürcher Oberland mit substanziellen Gewinnen veräussert. Welches waren dabei die Verkaufskriterien?
Marco Feusi: Bei meinem Start als CEO von HIAG haben wir die Anlagestrategie geschärft. Dazu gehörte auch eine umfassende Analyse des Immobilienportfolios. Im spezifischen Kriterienset, das dabei zur Anwendung kam, wurden über 20 historische und aktuelle Immobilienkenndaten sowie Prognosen berücksichtigt. Die Gesamtbeurteilung der einzelnen Liegenschaften erfolgte im Grundsatz nach den zwei Kriterien Liegenschaftsqualität sowie aktuelle und künftige Marktattraktivität. Mit den gezielten Devestitionen wird die Portfolioqualität kontinuierlich gesteigert. Bei unseren Verkaufsüberlegungen fragen wir uns jeweils, wer «the Best Owner» einer Liegenschaft ist und wägen ab, wie die Erlöse aus den Verkäufen unser Geschäft positiv beeinflussen, beispielsweise durch Investitionen in bestehende Projekte oder Zukäufe.
Sind Graubünden und das Tessin je ein Thema?
Gemäss unserer Anlagestrategie könnten wir grundsätzlich in der ganzen Schweiz investieren. Unser Anlagefokus liegt aber in den wirtschaftlichen Kernregionen und zukunftsorientierten Wachstumsregionen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Ein weiterer Punkt ist, dass wir bei Investitionen in unser primär selbst bewirtschaftetes Portfolio die Nähe zu bestehenden Organisationseinheiten von HIAG nutzen wollen. Insofern hat ein Engagement in Graubünden und im Tessin momentan keine Priorität. Im Tessin ist zudem die Marktgrösse relativ klein. Hinzu kommt, dass generell eigene, in der Region verankerte Experten zwingend sind, um in einem Markt erfolgreich zu sein.
«Unsere Projektpipeline ist mit einem Investitionspotenzial von knapp 3 Milliarden Franken in rund 60 Projekten im Vergleich zu anderen Immobilieninvestoren beachtlich und einzigartig.»
Marco Feusi, CEO HIAG
Sie entwickeln im Moment eine Vielzahl von Grossprojekten. Wird diese Pipeline in den nächsten Jahren sogar noch schneller wachsen?
Unsere gesamte Projektpipeline mit einem Investitionspotenzial von knapp 3 Milliarden Franken in rund 60 Projekten ist im Verhältnis zum aktuellen Bestandsportfolio von HIAG bereits beachtlich und im Vergleich zu anderen Immobilieninvestoren sogar einzigartig. Deshalb hat HIAG keinen Wachstumsdruck, und wir können uns erlauben, nur Liegenschaften zu akquirieren, die auch preislich in unsere Strategie passen. Im Fokus unserer Akquisitionsstrategie stehen Renditeliegenschaften mit nachhaltigem Cashflow- und Wertsteigerungspotenzial, aber auch Entwicklungsprojekte, welche langfristig realisiert werden können und so eine nachhaltige Verlängerung unserer Entwicklungspipeline erlauben. Uns kommt zugute, dass unser Team über breite Erfahrung und grosse Kompetenz in der Projektentwicklung verfügt, die ein zentraler Bestandteil unserer Strategie ist und regelmässig massgebliche Gewinnbeiträge leistet.
Der Zinssatz für Ihre fünf ausstehenden Anleihen über insgesamt 700 Millionen Franken liegt zwischen 0,75 und 1 Prozent. Wird die gewinnbringende Vermietung nun zum Selbstläufer?
Die Zeiten eines anhaltend tiefen Zinsumfelds sind vermutlich vorbei. Aber auch wenn die Finanzierungskosten in den letzten Monaten teuerungsbedingt stark angezogen haben, sind sie im langjährigen Vergleich nach wie vor moderat. Dennoch würde ich nicht vom Vermietungsgeschäft als Selbstläufer im Immobilienmarkt sprechen, trotz der weiterhin positiven Konjunkturprognosen für die Schweiz. Auch im Immobiliensektor wird das Marktumfeld wegen der zu erwartenden höheren Kapital- und Baukosten anspruchsvoller. Allerdings verfügt HIAG durch die Geschäftsmietverträge, die zu einem hohen Teil an die Inflationsentwicklung gekoppelt sind, im gesamten Geschäftsmodell über einen effektiven Inflationsschutz.
«Die Zeiten eines anhaltend tiefen Zinsumfelds sind vermutlich vorbei.»
Die Finanzierungskosten scheinen seit Jahren asymptotisch gegen null zu gehen. Werden Sie so schnell als möglich nochmals die Gunst der Stunde des billigen Geldes nutzen?
Abgesehen von den zwei Anleihen, die im laufenden Jahr zur Refinanzierung anstehen, ist kurzfristig nichts geplant. Nach der erfolgreichen Kapitalerhöhung Ende 2021 verfügt HIAG über eine robuste Liquidität. Zudem erwarten wir im Rahmen des Kapitalrecyclings regelmässige Mittelzuflüsse. Einerseits aus dem Verkauf von Stockwerkeigentum. Aber auch immer wieder aus Devestitionen von nicht-strategischen Liegenschaften. Mittelfristig planen wir eine schrittweise Erhöhung des Fremdkapitals, um die geplanten Investitionen hauptsächlich in den Entwicklungsprojekte zu finanzieren, wobei sich jedoch die Eigenkapital- und Fremdkapitalquoten in den definierten Rahmen bewegen müssen.
Fürs Geschäftsjahr 2021 gibt es eine Ausschüttung von CHF 2.70 je hälftig aus den Reserven aus Kapitaleinlagen (ohne Verrechnungssteuerabzug) und als ordentliche Dividende. Wie lange wird diese steuerfreundliche Politik anhalten?
Die aktuell nach wie vor stattlichen Kapitaleinlagereserven reichen noch für viele Jahre aus, um Privatanlegern eine steuerfreundliche Ausschüttung zu ermöglichen, auch bei allfällig steigenden Ausschüttungen.
Wird die Payout-Ratio, zurzeit ¾, so hoch bleiben?
Es ist unser Ziel, unseren Aktionärinnen und Aktionären auf Basis des operativ erwirtschafteten Reingewinns eine attraktive Dividende auszuschütten. Die Ausschüttungsquote darf dabei maximal 100% betragen. Interessant für die Investoren ist auch, dass die erwarteten zusätzlichen Neubewertungseffekte aus den Projektentwicklungsfortschritten für eine kontinuierliche Steigerung des inneren Werts der Aktien sorgen dürften. Insofern ist beim Geschäftsmodell von HIAG nicht nur der Dividendenrendite Beachtung zu schenken, die wir aus heutiger Sicht künftig bei leicht über drei Prozent erwarten, sondern auch dem stetigen Wertzuwachs. Im vergangenen Jahr wurde ein beachtlicher Return on Equity von über 11% erzielt.
«CHAMA ist aktuell unser grösstes Bauprojekt. Das Investitionsvolumen beträgt über 100 Millionen Franken.»
In Cham konnte HIAG nach Erhalt der Baubewilligung die erste Etappe des Grossprojekts CHAMA in Angriff nehmen. Wann steht der Einzugstermin fest?
CHAMA ist aktuell unser grösstes Bauprojekt. Das Investitionsvolumen beträgt über 100 Millionen Franken. Der Bezug der vier verschiedenen Gebäude mit insgesamt rund 50 Eigentumswohnungen und 80 Mietwohnungen sowie rund 3’900m2 Gewerbefläche für Büros und Services Apartments wird zwischen Ende 2023 und Frühling 2024 gestaffelt erfolgen. Die Vermarktung der Eigentumswohnungen hat in den letzten Tagen gestartet.
Über die Kooperation mit aventron ist HIAG auch ein Solarstromproduzent. Wie gross wird der Selbstversorgungsgrad Ihrer Objekte dereinst sein?
Das Joint Venture HIAG Solar wird die Produktion von Solarstrom auf den Dächern unserer Liegenschaften sukzessive ausbauen. Bis Ende 2022 dürfte eine Gesamtleistung von knapp 5 MWp (Maximaloutput, Anm. der Redaktion) aus rund 21’000m2 Panelfläche installiert sein. Das ermöglicht die Produktion von 4.5 Millionen kWh Solarstrom pro Jahr und entspricht einem jährlichen CO2-Einsparungs-Aquävalent von rund 1’300 Tonnen.
Das Potenzial dürfte demnach deutlich höher sein, vermute ich.
Mit den aktuellen und projektierten Dachflächen kann HIAG Solar zu einem bedeutenden Solarstromproduzenten in der Schweiz werden. Der Eigenverbrauch der Liegenschaften und unserer Mieter liegt heute je nach Anlage zwischen 70% und 90% und soll durch sogenannte Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) innerhalb unserer Areale weiter steigen. Der nicht direkt genutzte Strom wird zu momentan guten Konditionen in die regionalen Netze eingespeist.
Es läuft überall rund, die Lehrstandquote bei den Bestandsimmobilien ist unter 10% gerutscht, nur Retail-Liegenschaften im Non-Food-Bereich sind nach wie vor herausfordernd. Wie sehen Sie dort die kurzfristige Lage?
Wir wollen die Leerstandsquote auch in diesem Jahr durch Neuvermietungen und die Fertigstellung mehrerer bereits voll vermieteter Liegenschaften nochmals deutlich reduzieren. Die Vermietungssituation im stationären Verkauf, insbesondere im Non-Food-Bereich, ist aber nach wir vor anspruchsvoll, obwohl sich die Verkaufsumsätze nach der Pandemie mehrheitlich erholt haben. Erfreulicherweise stellen wir aber eine Zunahme der Nachfrage sowohl für aktuell leerstehende als auch projektierte Verkaufsflächen fest. Dabei achten die Mieter besonders auf die Lagequalität und die kleinräumige Verkehrs- und Parkplatzsituation.
«Die Vermietungssituation im stationären Verkauf, insbesondere im Non-Food-Bereich, ist nach wir vor anspruchsvoll.»
Das Verhältnis von Entwicklungs- zu Anlageobjekten liegt bei 2 zu 1. Von rund einer Milliarde Franken beim Going Public im 2014 stieg der Portfoliowert auf 1,8 Milliarden. Wann fällt die Zweimilliardenlatte?
Grundsätzliche verfügt HIAG mit dem vorhandenen Investitionspotenzial auf den eigenen Grundstücken über ein enormes zusätzliches Wachstumspotenzial. Eine verlässliche Prognose zum zukünftigen Portfoliowert scheint mir heute aber schwierig. Die Entwicklung hängt primär davon ab, wieviel wir in unsere Projekte investieren und welche Wertänderungen daraus resultieren und wie viele Liegenschaften wir veräussern; auch eine Steigerung der Vermietungsquote bietet Potenzial für Wertsteigerungen. Letztlich lautet die zentrale Frage für alle Immobilieninvestoren, mit welchen marktbedingten Wertänderungen zukünftig noch gerechnet werden kann, falls die weiter steigenden Zinsen zu höheren Kapitalisierungssätzen in den Bewertungen führen. Für unsere Aktionäre stehen in einer Gesamtbetrachtung neben dem Portfoliowert aber sicherlich auch die Entwicklung des Unternehmenswerts sowie die Liquidität des Titels im Vordergrund.