Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Roeser, nach dem Rekordjahr 2019 mit einem Umsatz von 780 Millionen Euro, 757 Millionen in 2020 sind es 2021 jetzt 738 Millionen Euro. Dennoch scheint man bei den Partnern das Ergebnis als hervorragend einzustufen und spricht vor allem vom Wachstum. Wo hat dieses stattgefunden und wie sieht es aus für 2022?
Matthias Roeser: Dazu müssen Sie wissen, dass die Zahlen 2020 noch unser Regtech Software Geschäft enthalten, an welchem wir die Mehrheit verkauft haben. Es ist uns mit unserem Wachstum gelungen, diese Veräusserung im 2021 nahezu zu kompensieren und werden dieses Jahr noch ein gutes Stück weiter vorankommen. Das Wachstum lief über alle Segmente und war im 2022 bisher ungebremst.
«Seit Juni 2021 ist das Schweizer Team um 40% gewachsen, überproportional stark, was teilweise auf einen reduzierten Import von Beratern zurückzuführen ist.» Matthias Roeser, Leiter Schweiz von BearingPoint
Welche Tendenzen gibt es für die Schweiz, wie läuft es hier im Vergleich zu den anderen Ländern in Europa?
In der Schweiz haben wir nach der Pandemie ein leicht verzögertes Einschalten des Wachstums im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern beobachtet. Seit Juni 2021 ist das Schweizer Team um 40% gewachsen, überproportional stark, was teilweise auf einen reduzierten Import von Beratern zurückzuführen ist. Europaweit fehlt es stark an Fachkräften und jungen Talenten, mit Einfluss auf unsere Wachstumsambitionen.
Im 2021 wurden weltweit mehr als 1’300 neue Mitarbeitende eingestellt. Wie viele davon in der Schweiz und welche Fähigkeiten sind besonders gefragt bei interessierten Kandidaten und Kandidatinnen?
In der Schweiz waren es 38 neue Mitarbeitenden, die zu uns gestossen sind. Gut die Hälfte davon sind junge Talente, die andere Hälfte erfahrene Beraterinnen und Berater aus den Bereichen Wealth Management, Finanzen, Logistik und Technologie.
Mit AdNovum ist Bearingpoint im März 2022 eine Kooperation zur Erstellung von Lösungen mit Künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und Natural Language Processing (NLP) im Bereich von Kundeninteraktionen eingegangen. Welche Probleme sollen hier gelöst werden, die nicht schon Teil von bestehenden Bankenlösungen und -Plattformen sind?
Wir und Adnovum haben mit unseren Kunden festgestellt, dass die Anbieter von Standard-Lösungen nicht in allen Bereichen mit der Entwicklung neuester Technologien und Business-Ansätze mithalten können. In diesen Bereichen machen wir uns gemeinsam stark, um für unsere Kunden innovative Lösungen entwickeln zu können.
Das durch die Pandemie etwas in den Hintergrund gerückte Thema “Nachhaltigkeit” hat wieder an Bedeutung gewonnen. “Netto Null” wird auch politisch mit Druck vorangetrieben und mündet in neue Vorschriften für Unternehmen. Wie gut sind Schweizer Unternehmen gerüstet, um dieser Herausforderung zu begegnen und eventuell sogar Wettbewerbsvorteile damit zu erringen?
Wir sehen sehr viel Aktivität unserer Kunden primär im Bereich ESG Reporting. Ein Grossteil hat die initialen Hausaufgaben gemacht, allerdings stehen fast alle noch vor einem weiten Weg, wenn es um eine nachhaltige Operationalisierung entlang der gesetzten Ziele geht oder gar um Auf- und Ausbau von Wettbewerbsvorteilen. In der Beratung bauen wir unsere Fähigkeiten im Sustainability-Advisory stark aus – die Akquise von “I Care” in Frankreich ist einer von vielen Schritten, die diese Entwicklung untermauern.
«In der Schweiz haben wir nach der Pandemie ein leicht verzögertes Einschalten des Wachstums im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern beobachtet.»
In einer Partnerschaft mit SAP soll eine Lösung entwickelt werden, welche die Kunden auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen soll. Wie genau muss man sich das vorstellen, wie wird sich die Lösung von einer Standard-SAP-Installation unterscheiden?
Den Kern der Lösung, den BearingPoint Carbon Emission Calculator, vermarkten wir schon seit Jahren weltweit. Neu ist, dass wir die Kräfte mit SAP bündeln und eine Vollintegration in die SAP Lösungslandschaft weiter vorantreiben. Ein grosser Fokus liegt dabei auch auf den Scope 3 Emissionen und einem damit verbundenen automatisierten Datenaustausch mit Partnern wie Zulieferern, Kunden, Auditoren und Regulatoren.
In ihrer “Strategie 2025” hält BearingPoint fest, dass Menschen in Zentrum von allen Bemühungen stehen sollen, dass man jedes Jahr besser als der Markt abschliessen möchte und dass man einer der drei wichtigsten Anbieter sein will in den Fachbereichen. Wo ist man auf Zielkurs, wo gibt es noch Nachholbedarf?
Wir machen dabei sehr grosse Fortschritte. Schauen wir auf die Schweiz, so fällt auf, dass wir im “Beste Arbeitgeber Schweiz 2022 Ranking (Handelszeitung/Statista)” in unserer Kategorie als bestes Beratungshaus bewertet wurden. Auch in den Fachbereichen nimmt uns der Markt sehr positiv wahr. Als Beispiel wäre unser “Wealth Briefing Swiss Award 2022” zu nennen, aber auch der grosse Erfolg unseres Schweizer Teams in der Begleitung von grossen SAP S/4 Transformationen.
«Der Krieg hat uns allen die Augen geöffnet, wie wichtig es ist für unsere Werte in Europa einzustehen und unsere Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit an unseren Werten und damit verbundenen Zielen auszurichten.»
Der Krieg in der Ukraine hat das Selbstverständnis Europas herausgefordert und aufgezeigt, dass die USA, Russland und China eher wenig Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten Europas. Wie kann Europa seine wirtschaftliche Bedeutung und die damit verbundene politische Position für die Zukunft stärken, welche Rolle können dabei weltweit tätige Unternehmen wie BearingPoint spielen?
Der Krieg hat uns allen die Augen geöffnet, wie wichtig es ist für unsere Werte in Europa einzustehen und unsere Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit an unseren Werten und damit verbundenen Zielen auszurichten. Aus heutiger Perspektive würden manche Entscheide der Vergangenheit heute anders ausfallen. BearingPoint als grösstes unabhängiges und europäisch geführtes Beratungshaus steht für diese uns allen wichtigen Werte und wird europäische Kunden in ihrer globalen Expansion und dem Ausbau Ihrer globalen Innovationskraft, abgestützt auf diese Werte, stärken.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich, und wer nicht, würde mir wünschen, dass der Ukraine Krieg und die damit verbundene weitreichende humanitäre Krise möglichst schnell endet. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir alle die Kräfte bündeln und die noch viele grösseren Nachhaltigkeitsprobleme möglichst konkret und verbindlich adressieren. Krise haben wir gelernt, vorausschauendes Handeln muss folgen.