Kalte südliche Winde treiben das Meereis von der Antarktischen Küste weg. (Foto: Jacques Descloitres, MODIS Land Rapid Response Team, NASA/GSFC)
Hamburg – Das Meereis um die Antarktis hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgedehnt. Eine neue Studie erklärt, warum dies der Fall ist, warum Modelle diese Zunahme nicht erfassen und was wir Menschen mit der sich ausdehnenden Eisdecke zu tun haben könnten.
Im September 2014 bedeckte das antarktische Meereis mehr als 20 Millionen Quadratkilometer und erreichte damit seine grösste Ausdehnung seit dem Beginn kontinuierlicher Satellitenmessungen im Jahr 1979. Dies bildet den vorläufigen Höhepunkt einer langsamen Zunahme des antarktischen Meereises, die insbesondere deshalb zunächst irritiert, weil die fortschreitende globale Erwärmung gleichzeitig in der Arktis zum starken Abschmelzen des dortigen Meereises führt.
Bodennahe Winde gut simulieren
Warum das antarktische Meereis langsam zunimmt und warum Klimamodelle meistens keinen solchen Zuwachs zeigen haben Forscher des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) jetzt in einer neuen Studie in den Geophysical Research Letters untersucht. “Um die Entwicklung des Meereises in der Antarktis im Modell nachvollziehen zu können, müssen wir insbesondere die bodennahen Winde gut simulieren”, erklärt Alexander Haumann, Hauptautor der neuen Studie. “Es geht hier in erster Linie um Regionen mit Wintertemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, so dass es auch bei einer Erwärmung noch viel Eisbildung im Ozean rund um die Antarktis gibt. Angetrieben durch starke Winde wird dieses Eis manchmal über mehr als tausend Kilometer transportiert. Wenn man wissen will, wohin das Eis treibt und welche Gebiete es bedeckt, muss man verstehen wie es durch die Winde verschoben wird.”
Verstärkte Windfelder vor den Küsten
Und diese Winde haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. “Wir beobachten eine Verstärkung der Windfelder vor den Küsten, insbesondere im Rossmeer. In diesem zum Pazifik weisenden Sektor des Südpolarmeeres haben sich die Winde in letzter Zeit so verändert, dass sie das Eis stärker von der Küste weg schieben, wo sich das Eis dann kontinuierlich neu bildet”, erklärt Haumanns Kollege Dirk Notz, der die Forschungsgruppe “Meereis im Erdsystem” am MPI-M leitet. Während dies auch in früheren Studien bereits vermutet worden war, unterstreicht die neue Studie, dass dieser Mechanismus bis heute die Hauptrolle für die Eisbedeckung spielt. “Dort wo die Winde stärker vom antarktischen Kontinent weg wehen, nimmt die Eisbedeckung zu, weil das Eis weiter nach Norden getrieben wird und der Ozean südlich davon wieder zufriert. So einfach ist das.”, erläutert Notz.
Boden-Luftdruck in einigen Gebieten um die Antarktis sinkt ab
Daraus ergeben sich dann natürlich vor allem zwei Fragen: Warum haben sich die Winde geändert? Und warum erfassen die Modelle diese Änderungen nicht? Die Studie geht beiden Fragen nach. “Die Windfelder verändern sich, weil der Boden-Luftdruck in einigen Gebieten um die Antarktis herum langsam absinkt. In unseren Modellsimulationen ergibt sich ein solch niedrigerer Luftdruck, wenn wir sowohl den Effekt des Ozonlochs als auch die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen berücksichtigen. Das Ozonloch kühlt die hohe Atmosphäre über der Antarktis, während die Treibhausgase die untere Atmosphäre erwärmen. Zusammengenommen kann das eine Änderung des Windfeldes erklären, aber wir sind bis jetzt nicht sicher, ob dies auch der Hauptantrieb der Änderungen in der realen Welt ist”, sagt Hauke Schmidt, der die Gruppe “Mittlere und hohe Atmosphäre” am MPI-M leitet.
Aber obwohl das Modell eine Abnahme des Bodendrucks simuliert, ergibt sich daraus nicht automatisch eine Eiszunahme. Auch das haben die Wissenschaftler jetzt verstanden: Sie vermuten, dass das Modell den Einfluss der kleinskaligen Küsten-Topographie und Bodenprozesse über Eis und Schnee nicht genau genug wiedergibt. Diese Prozesse beeinflussen die Verteilung des Bodenluftdrucks und damit die Windrichtung. “In unserem Modell ändert sich der Luftdruck so, dass der Wind sich vor allem parallel zur Küstenlinie verstärkt anstatt stärker von ihr weg zu wehen. Wenn dies besser dargestellt werden kann, dann sollten wir auch bessere Simulationen für den Meereistrend erhalten”, schliesst Haumann.
Die Forscher haben also verstanden, warum das Meereis zunimmt und warum ihr Modell dies nicht erfasst. Nun arbeiten sie daran, in ihrem Modell die atmosphärische Zirkulation um den Kontinent herum zu verbessern, in der Hoffnung, dass dies eventuell zu einer besseren Darstellung der beobachteten Meereiszunahme in ihrem Modell führt. Dann würde das antarktische Meereis-Rätsel endgültig gelöst sein. (MPI/mc/pg)