Ja, ich gebe es zu: es gibt Originelleres, als zu Ostern über Eier zu schreiben. Aber es ist nun mal ein Fakt, dass mit der Eierproduktion zu Spitzenzeiten wie Weihnachten und Ostern eine Reihe an Problemen einhergehen, deren Lösungen wir Konsumierende in der Hand hätten – und nichts ist so motivierend und frustrierend zugleich, wie kollektiv zu einer Lösung befähigt zu sein, ohne den entsprechenden Hebel zu bewegen. Also doch, eine Eierkolumne, ich hoffe ohne viel Herumgeeiere und, versprochen, ohne weitere am Wegrand liegende Wortwitze mitzunehmen.
Alle Jahre wieder wird bei Herrn und Frau Schweizer gefärbt, versteckt und getütscht: es dreht sich alles ums Ei. Der Brauch des Eierfärbens stammt aus der Zeit, in der vor Ostern landläufig gefastet wurde, die Hühner jedoch weiter Eier legten. Um zu kennzeichnen, welche Eier wann gelegt wurden, wurden die Eier gekocht und je nach Legedatum unterschiedlich eingefärbt. Aus dem Eierüberschuss von damals erwuchs die Tradition des Eierfärbens, die ironischerweise dazu führte, dass wir heute nicht mehr die Konsumgewohnheiten den Legehennen anpassen, sondern die Hennen den Konsumgewohnheiten. Während es früher darum ging, Foodwaste zu vermeiden, indem zu Ostern nach dem Fasten die ganzen Eier verzehrt wurden, damit sie nicht schlecht wurden, haben wir heute den Spiess umgedreht und die Tradition ad absurdum geführt: um die ganzen farbigen Eier in diesem begrenzten Zeitraum konsumieren zu können, werden extra zehntausende Hühner zusätzlich gehalten, die Bestände massiv aufgestockt und die Legehennen nach Ostern nach einem Bruchteil ihrer Lebenszeit wieder “entsorgt”. Statt Foodwaste zu verhindern, produzieren wir nun Foodwaste in geradezu dekadentem Ausmass, da viele der Legehennen nicht verzehrt, sondern zu Biogas verarbeitet werden.
1,1 Milliarden Eier legten die Hühner in der Schweiz 2021 und der pro Kopf Konsum stieg auf rekordhohe 194 Eier pro Jahr, Tendenz steigend. Wie ist eine solche Produktion zu bewältigen, die noch dazu grossen saisonalen Schwankungen mit hohen Nachfragen an Ostern und Weihnachten unterliegt? Hierzu lohnt sich ein Blick auf die Hühnerzucht der letzten Jahrzehnte, die geradezu groteske Ausmasse angenommen hat, um unserem Färb- und Tütschbedürfnis nachzukommen.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Hühner sogenannte Zweinutzugstiere. Die Weibchen wurden fürs Eierlegen und die Männchen für die Fleischproduktion genutzt. Diese Zweinutzungsrassen wurden auf den Betrieben selber vermehrt, wobei die Küken die gleichen Eigenschaften hatten wie die Elterntiere. Dies änderte sich in den 1960erJahren, als eine Aufspaltung in der Hühnerzucht stattfand: Bestimmte Hühnerrassen wurden auf hohe Eierproduktion gezüchtet, während andere auf hohen Fleischzuwachs optimiert wurden. Durch Konzentration auf eines der beiden Merkmale, liessen sich viel grössere Leistungssteigerungen erzielen. Dies war der Beginn der heutigen Hochleistungszucht. Parallel dazu wurde in den 60er-Jahren die sogenannte Hybridzucht eingeführt. Dabei handelt es sich um Verkreuzungen unter genetisch sehr ähnlichen Tieren (Inzucht). Die aus diesen Inzuchtlinien entstandenen Kreuzungstiere nennt man Hybridhühner. Diese vererben ihre Hochleistungsmerkmale aber nicht weiter, wodurch die Bauern keine Hühner mehr selber nachzüchten können, sondern auf den Zukauf neuer Hybridhühner angewiesen sind, um die alten zu ersetzen. Da durch saisonale Schwankungen und eine leicht abnehmende Legeleistung nach 12 Monaten die ganze Schar der Hühner jährlich durch eine neue ersetzt wird, bedeutet das eine komplette Abhängigkeit der Geflügelhalter von den Zuchtfirmen. Das sogenannte «Endprodukt» der Hybridisierungen, also die «fertigen» Legehennen, werden in grossen Brütereien ausgebrütet, in speziellen Aufzuchtställen ca. 18 Wochen aufgezogen und dann erst auf den Legebetrieben eingestallt, wo sie im Alter von 20 Wochen mit dem Eierlegen beginnen. Weltweit gibt es heute nur noch drei nennenswerte Zuchtkonzerne, welche die gesamte Legehennen-Genetik in ihren Händen halten: «EW Group» (DE), «Hendrix/Nutreco» (NL) und «Natexis/Groupe Grimaud» (FR). Diese beliefern den gesamten Weltmarkt der Eierproduktion.
Solche Fakten liest und hört man selten und wann immer ich das Thema politisch mittels Motionen aufgreife (Verbot von Qualzuchten, Kükentöten etc.), schlägt mir der eisige Wind der Preisargumentation entgegen. Eier und Pouletfleisch würde dadurch teurer und die Masse könnte nicht mehr produziert werden. Beides stimmt. Und beides ist notwendig. Eine weitere Steigerung oder auch nur die Beibehaltung des aktuellen Rekordkonsums können wir nur auf Kosten, der Umwelt unserer Unabhängigkeit von Zuchtfirmen und der überzüchteten Hühner gewährleisten. Und zum Preisargument lohnt sich einmal mehr der Blick in die Geschichte und über die Eier hinaus:
1950 bezahlte die Bevölkerung 30 Rp. für ein Ei (Quellen für alle Preise: BFS, BLW und Zürcher Tierschutz). Bis heute sind die Eierpreise nicht markant gestiegen, so zahlen Konsumierende heute im Schnitt für ein konventionelles Schweizer Ei etwa 43 Rp., das entspricht nur 40% mehr als 1950. Im Vergleich dazu stieg der Landesindex der Konsumentenpreise für 1 kg Ruchbrot von 51 Rp. (1950) auf 2.48 Fr. für 1 kg (+ ca. 490% pro kg) und jener für 1 kg Kartoffeln von 37 Rp. auf 2.98 Fr. (+ 805%). Nichts ist politisch so unbequem, als sich für höhere Preise einzusetzen, aber hier ist genau dies notwendig. Nichts ist politisch so unattraktiv, wie für ein “Mehr für Weniger” einzustehen, insbesondere in Zeiten der Inflation, in der das Preisargument noch stärker greift.
Aber gerade in dieser Zeit der Inflation, der Ressourcenknappheit und der steigenden Preise auf dem Weltmarkt insbesondere beim Getreide und in der Landwirtschaft, ist es umso verwerflicher, tausende von Hühnern anzuschaffen, mit Getreide zu füttern, nur kurze Zeit zu nutzen, um sie dann wieder zu entsorgen, ohne dass sie in den Konsumkanal eingespeist werden können. Wenn wir Zweinutzungshühner wollen und möchten, dass Bauern ihre Tiere so artgerecht halten wie möglich, kommen wir an einer Entscheidung nicht vorbei: wir müssen weniger konsumieren und höhere Produzentenpreise entrichten. Viele Bauern würden Legehennen gern als Suppenhühner oder als Legehennenfleisch auf den Markt bringen, doch die Nachfrage ist nicht da, während wir immer noch einen grossen Teil der konsumierten Pouletbrust und -filets aus Brasilien importieren. Um zurückzukommen auf Bräuche, die Foodwaste verhindern sollen, schlage ich daher vor, die Suppenzeit nach Ostern bis zur Auffahrt einzuführen. Bis dann werden sämtliche Legehennen statt in der Biogasanlage im Suppentopf ihr Ende finden und die Millionen importierten Chicken Wings und Brüstchen ersetzen. Das löst die Problematik der Hybridzucht noch nicht, doch wäre es ein Schritt Richtung Zweinutzungspraxis, würde zu einer Entlastung des Budgets führen (Suppenhühner sind günstiger als Filet) und würde ein Bewusstsein schaffen für die Konsequenzen von solch unschuldigen Bräuchen wie dem Eiertütschen bei uns Konsumierenden. Wer tütscht, muss auch suppen – und wer nach Ostern das Filet durch das Suppenhuhn ersetzt, kann sich dafür auch die teureren Freiland-Bruderhahn-Eier leisten.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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