Meret Schneider: Auf ein frohes neues Ja!

Meret Schneider: Auf ein frohes neues Ja!
Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und selbst die Ge- und Beschäftigsten unter uns, die zwischen dem 1. Januar und dem 26. Dezember übers Hamsterrad hinweg auf der Karriereleiter lachend in die Kreissäge der Burnoutfalle rennen, scheinen kurz inne zu halten.

Es sind diese Tage in der Schwebe zwischen dem 26. und dem 31. Dezember; die Raclettereste hatten ihren zweiten Auftritt im obligaten “alles-muss-weg”-Auflauf, der Grosseinkauf fürs Silvestermenu drängt sich noch nicht auf und man spaziert, arbeitet alte Mails ab, bündelt Altpapier und lässt das alte Jahr Revue passieren.

Reflektieren hat Hochkonjunktur und man geniesst die Vorzüge der unausgesprochenen Vorsätze, die man nicht um Mitternacht unter Einfluss von Bowle-Früchten und angeheiterten Freunden äussert, sondern sich nur selber und ganz leise innerlich vielleicht weniger vornimmt, als mehr vorschlägt. Man wird nicht darauf behaftet, nicht daran erinnert und kriegt von eben erwähnten Freunden schon gar keine Marathonstarts, Detox-Kits oder Smothiemaker geschenkt – “du wolltest doch, erinnerst du dich…” Es ist die Zeit des Reflektierens, des Innehaltens und der Achtsamkeit, ein Wort, das mittlerweile in so inflationärem Ausmass von Hochglanz-Frauenzeitschriften in grelle Überschriften gepackt wird, dass ich es mich kaum noch zu schreiben traue.

Es war genau so eine Frauenzeitschrift, die neben mir im Zug lag und die ich aufschlug. Das neue Jahr war Thema, Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Grenzen setzen waren die Leitartikel, durchsetzt von Silvester-Tiramisu-Rezepten (mit Champagner-Crème und Physalis, warum) und Tipps zum Joggen im Winter (Zwiebelprinzip, leicht frösteln beim loslaufen). Der grosse Vorsatz, den sich die vielbeschäftigte Frau, die den Grossteil der Care-Arbeit und praktisch den kompletten Mental Load zu tragen hat, nehmen sollte lautet: öfter mal Nein sagen. In sich hinein horchen, die eigenen Bedürfnisse respektieren, Grenzen setzen und Nein sagen. Nichts bahnbrechend Neues, aber das waren Tiramisu und Zwiebelprinzip ja auch nicht. Eine Einladung zum Kaffee? Nein danke, ich hatte schon so viel Trubel heute, ich brauche meine Me-Time. Beim Umzug helfen? Nein, tut mir leid, ich habe heute schon andere Pläne. Nach dem Apéro noch um die Häuser ziehen? Lieber nicht, ich muss morgen früh raus. Einfach Nein sagen, wenns eben nicht passt.

Und nun beginne ich zu reflektieren. Nein sagen kann ich. Im privaten Bereich fällt es mir leichter als im Beruflichen, aber auch da bewahrt mich meine Panik, Deadlines nicht einzuhalten oder unsorgfältig zu arbeiten, davor, mehr anzunehmen, als ich bewältigen kann. Im Privaten ebenso. Ausschweifende Parties mit ungewissem Ausgang? Lieber nicht, da entferne ich mich zu weit von meiner Komfortzone. Unvernünftige Aktionen, wenn ich am nächsten Tag arbeiten muss? Auf keinen Fall, darunter würde nur meine Arbeitsperformance leiden. Kurzfristig mit Freunden in die Ferien fahren?

Nie, schliesslich habe ich noch Dossiers zu lesen und anderes geplant fürs Wochenende. Und auch in meinem Umfeld erlebe ich eine grosse Bereitschaft, Nein zu sagen. Sei es zu spontanen Einladungen, Anfragen für kurzfristige Hilfeleistungen oder einfach nur ein Telefonat: man ist verplant, hat gerade keinen Kopf und muss am nächsten Tag fit sein. Gern fixiert man einen Termin für eine gemeinsame Unternehmung in den Wochen darauf, man will sich schliesslich sehen – aber eben so, dass es in den eigenen Terminkalender passt.

Ich funktioniere genauso und bin froh, dass ich nicht zu der Art Menschen gehöre, die zu allem ständig Ja sagen und notorisch hinter all ihren gegebenen Versprechen herrennen – das muss wahnsinnig anstrengend sein. Auch ist es selbstverständlich von grosser Wichtigkeit, die eigenen Grenzen zu kennen und zu respektieren, dies ist, gerade für weibliche Personen, eine grosse Errungenschaft unserer Zeit.

Doch wenn ich das Jahr und vielleicht die letzten 10 Jahre Revue passieren lasse, dann sind es nicht die Gelegenheiten, Nein zu sagen, die ich bereue, nicht genutzt zu haben. Es sind die Chancen, die ich mit einem mutigen Ja manchmal gern gepackt hätte und die ich habe vorbeistreichen lassen mit dem ewig gut begründeten Nein der Vernunft. Ich plädiere nicht dafür, Grenzen zu überschreiten, wo es Schaden anrichtet, bei einem selbst oder gar einer anderen Person – mitnichten! Aber ich werde mir wohl, ganz nüchtern und ohne die Euphorie des Mitternachtschampagners, vornehmen, öfter mal Ja zu sagen. Zu was auch immer dann kommen mag. Und ich wünsche auch Ihnen im 2023 viele freudige, neue Jas!


Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite


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