Meret Schneider: Black Friday und die Konsumkritik am Kaminfeuer
Alle Jahre wieder – kurz vor der Konsumeskalation des Jahres schlechthin, dem Weihnachtsfest, gefolgt von der Silvestersause, baut der sogenannte Black Friday bereits die Rampe zum oh du seeligen Konsumkatapult. Es wird mit Rabatten, Sales und blinkenden, oszillierenden Anzeigen um die Gunst der Konsumierenden geworben, dass man im Wald der Schnäppchen den Blick für die Bäume der Bedürfnisse zu verlieren droht.
Als eigentlich passionierte Konsumkritikerin habe ich dieses Geschehen stets mit einer Mischung aus Befremdung, Bedauern und unterschwelligem Mitleid beobachtet – mit einem Blick, den ich mir heute vorhalte und den ich erst dieses Jahr zu reflektieren begann. Klar, die Aktionen sind von Unternehmen bereits von Beginn weg eingepreist, sparen tut nur, wer nichts kauft und das Wenigste ist Gold, was grell blinkt und glänzt. Im Zuge dieser Abscheu vor dem Konsumwahnsinn habe ich mich stets auf meine Loge des abgeklärten Beobachters zurückgezogen, vielleicht einen Artikel zu den geplanten Aktionen und der Maschinerie dahinter geschrieben, vielleicht eine kapitalismuskritische Kolumne verfasst und mich im tendenziell abfälligen Ton der Besserwissenden über materielle Statussymbole und die Lust am Kaufen geäussert. Nicht jedoch in diesem Jahr und darauf stiess mich interessanterweise eine Debatte von Menschen, zu denen ich in den letzten Jahren hätte gehören können.
Es war eine Gruppe junger Leute, dem Duktus nach höherer Bildung, die sie sich auch nicht zu verbergen bemühten, die sich über Black Friday-Angebote mockierten und einen Abgesang auf die konsumistische Gesellschaft anstimmten. Es wurde die Banalität materieller Statussymbole belächelt, den Postmaterialismus gepriesen und darüber debattiert, wie viel wertvoller Erlebnisse doch sind, verglichen mit dem Kauf stumpfer Güter. Es wurde in einer Pendlerzeitung geblättert, sich über Markenartikel lustig gemacht und natürlich war man sich einig: Wir schenken uns längst nichts mehr zu Weihnachten, das Erlebnis mit der Familie, das Zusammensein und das Miteinander stehen im Zentrum dieses Festes. In einem Nebensatz wurde klar, dass dieses Miteinander im kleinen Kreis in einem Chalet in Saas Fee stattfinden wird und der kleine Sandro dabei zum ersten Mal auf dem Snowboard stehen wird, worauf sich alle freuen.
Natürlich, dachte ich, und fühlte mich ertappt. Vom warmen Kaminfeuer in Saas Fee aus ist Konsum- und Kapitalismuskritik einfach. Genau so, wenn auch nicht derart auf die Spitze getrieben und notabene ohne Chalet und Cheminée, habe ich es jahrelang getan und schäme mich heute ein bisschen dafür. Klar, aus der Komfortzone heraus lässt es sich leicht auf Angebote verzichten, auch weil ich weiss, dass ich mir elektronische Anschaffungen übers Jahr hinweg einfach leisten kann, wenn ich sie brauche. Für einen erheblichen Teil der Menschen ist jedoch der Black Friday der Tag, an dem sie die Gelegenheit haben, lang geplante Käufe zu tätigen, die sonst nicht drin liegen würden, wie mir kürzlich eine Mutter beim Verteilen von Foodwaste erzählte. Sie nutzt den Black Friday, um ihren Kindern Weihnachtswünsche zu erfüllen, die sie sich sonst nicht leisten könnte und die für die Akzeptanz der Kinder in der Klasse so wichtig seien. Selbstverständlich ist es bedauernswert, dass die Akzeptanz von Kindern an materiellen Gütern hängt, doch diese Debatte würde hier zu weit führen.
Klar ist: Was sich die Mutter am Black Friday für ihr Kind zu Weihnachten kauft, wird der kleine Sandro auf seinem Snowboard längst besitzen. Und klar ist: Postmaterialismus ist erst dann attraktiv und wird gern ostentativ zur Schau gestellt, wenn man sich Materialismus leisten kann – in diesem Sinne ergibt das Wort Post-Materialismus in mehrfach Sinn. Interessant zu beobachten ist dies auch an der Rap-Szene, in der das zur Schau Stellen geradezu absurder Statussymbole zum Habitus gehört. Als Rap-Liebhaberin habe ich mich darüber stets gewundert und mich davon abgestossen gefühlt; das ganze Bling-Bling, die Marken, die Autos – was soll das? Auf genau diese Frage angesprochen, antwortete ein Deutsch-Rapper in einem Interview sehr entlarvend, es gehe hier schlicht um Zugehörigkeit zu und Anerkennung von einer weissen Mehrheitsgesellschaft. Klar, wer aus gut situiertem Elternhaus seinen Hochschulabschluss mit Bravour meistert und dann in der IT-Branche gutes Geld verdient, markiert seinen Status mittels zur Schau stellen seines kulturellen Kapitals, mittels Ausdrucksweise und Habitus. Wer aber auf diese Ressourcen nicht zurückgreifen kann, erarbeitet sich sein Quantum Anerkennung über jene Art des Kapitals, auf das ihm oder ihr der Zugriff nicht verwehrt bleibt: das Finanzielle.
Der leicht schlampige Look eines Mark Zuckerbergs wirkt schliesslich nur deshalb wie ein smartes Understatement, weil wir wissen, dass er sich alle Rolexe seiner Wünsche kaufen könnte – das gleiche Outfit an einem eher gering Verdienenden wirkt eben einfach nur leicht schlampig. Dies reflektierend, schaue ich dieses Jahr mit einem ganz anderen Blick auf den Black Friday und die Einkaufenden an der Bahnhofstrasse, die sich zu Weihnachten das Chateaubriand bei Metzger bestellen. Klar, Konsumexzesse sind mir noch immer ein Graus und ebenso selbstverständlich gibt es auch Menschen, die in Luxus schwelgen und zu Weihnachten dem Ganzen noch einmal die Krone aufsetzen – dies soll nicht als Plädoyer für ungehemmten Konsumismus missverstanden werden.
Aber in meinem Blick auf das Geschehen liegt nun auch ein gewisses Verständnis. Es ist nun einmal leichter, zu Weihnachten einfach einen Spaghettiplausch zu servieren und auf das Zusammensein zu pochen, wenn es nicht unter der Woche aus finanziellen Gründen bereits mehrmals Spaghetti gibt. Und auch ein demonstrativ ins Feld geführter Verzicht auf den materiellen Konsum erfüllt letztlich die gleiche Funktion wie der materielle Konsum selber, nämlich eine Markierung des Status und eine Abgrenzung von einer Schicht, zu der man nicht gehören möchte – sei es zu jenen, die es sich nicht leisten können oder zu jenen, die dem stumpfen Materialismus frönen, unsympathisch ist beides gleichermassen.
In diesem Jahr werde ich keinesfalls mehr konsumieren als sonst oder auf Schnäppchenjagd gehen, aber ich verzichte auf die kapitalismuskritische Würdigung des Weihnachtsfestes in Artikeln und sämtliche Beteuerungen, wie wenig man eigentlich braucht, um zufrieden zu sein. Verzicht auf Konsum stellt mich noch immer zufriedener, als der Konsum selbst, doch wenn damit eine Herabwürdigung anderer einhergeht und man sich dabei ertappt, dies einmal öfter als nötig im Kreise Gleichgesinnter unter stillem Applaus ins Feld zu führen, sollte man es vielleicht lassen. Ich werde diese Weihnachten daher feiern wie immer – im Kreise der Familie, wie ich es schätze und gönne allen, die es sich wünschen, die materiellen oder immateriellen Wünsche, die sie sich an diesem Tag erfüllen.
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