Meret Schneider: Bohnen, Bünzlis, Biedermeier
“Weltwoche? Nebelspalter?”, denke ich bei der Lektüre der wirklich einschlagenden Zeile zum Veganuary – einer der vielen Artikel, die in diesem Monat Vor- und Nachteile der pflanzenbasierten Ernährung zu erläutern versuchen: “Sich vegan zu ernähren ist schrecklich und dumm”. Zitat von Franz Keller, einem der bekanntesten Köche Deutschlands. Eine Schlagzeile wie sie populistischer und unhaltbarer nicht sein könnte, doch handelte es sich nicht um den Nebelspalter, sondern um die Süddeutsche Zeitung, die ich ansonsten sehr schätze und die hier mit einem provokativen Interview zum Trendthema des Monats offenbar auf der Clickbait-Welle mitsurfen wollte – es sei ihr gegönnt.
Um das Nervenkostüm zu schonen und sämtlichen affektiven Kommentaren meinerseits vorzubeugen, verzichtete ich denn auch auf die Lektüre des Interviews, in dem Herr Keller vermutlich die ebenso wacklige wie tollkühne Datengrundlage für seinen Titel erläutert.
Ich kenne solche Texte, sie mischen sich als scheinbar relevante Diskussionsbeiträge wie auch immer legitimierter Experten unter Artikel, die sich auf populärwissenschaftliche Studien zum Thema Ernährung berufen und Copy-Paste SDA-Meldungen, die irgendeine Überschrift in Wissenschaftsmagazinen wie “Nature” oder “Science” falsch interpretieren. Meist überraschen sie mit Kausalitäten, denen maximal eine Korrelation zu Grunde liegt oder beeindrucken mit spektakulären Ergebnissen an 4-10 Probanden. So weit so bekannt, gerade im Bereich Ernährung und Gesundheit ist die Zahl der unsorgfältigen, unwissenschaftlichen Publikationen zu streitbaren Themen wie der pflanzlichen Ernährung gross. Zum einen, weil viele Studien auf Aussagen der Probanden beruhen und daher stark verfälscht werden, zum anderen aber auch, weil das Geld für ein richtiges Studiendesign und -setting fehlt oder aber die Geldgeber bereits beim Auftrag ihr gewünschtes Resultat implizit mit kommunizieren.
Interessant ist aber, wie viele dieser Studien zur Zeit aus dem Boden schiessen, die negative Konsequenzen einer pflanzlichen Ernährung thematisieren.
Vegane “Ersatzprodukte” seien zu verarbeitet, enthielten zu viel Fett, Salz und andere Schrecklichkeiten, die eine Tofumasse zu einem schmackhaften Genusserlebnis machen. Vegane Schokolade enthalte zu viel Zucker und sei nicht gesünder als Kuhmilchschokolade. Vegane Chips seien zu fettig und zu verarbeitet. Im Eifer der Empörung werden sämtliche Katastrophenszenarien heraufbeschworen, die aus einer Ernährung ausschliesslich aus Tofuwürsten, Schokolade und Chips resultieren, von Knochenbrüchen bis zu Skorbut. Und zwischen zwei Bissen “Mac Chicken Crispy” werden die Vorzüge des weissen Fleisches gepriesen. Natürlich haben sie recht. Wer ausschliesslich Tofuwürste, Chips und Schokolade isst, ernährt sich nicht eben ausgewogen. Nur: gleiches gilt auch für jene, die primär Cervelat, Chips und Milchschokolade konsumieren – die Konsequenzen sind nahezu identisch, nur bleiben die Tiere bei der veganen Variante am Leben.
Veganerinnen und Veganer leben nicht a priori gesünder. Aber auch nicht ungesünder. Wie die Beispiele unzähliger pflanzenbasiert und omnivor ernährter Menschen zeigen, kann man sich mit und ohne Tier sehr gut oder auch sehr schlecht ernähren, ein Zusammenhang mit dem Verzicht auf Tierprodukte ist hier nur marginal gegeben und dieser fällt sogar zu Gunsten einer pflanzlichen Ernährung aus. Aber das gibt natürlich keine Schlagzeile her, versteht sich.
Im Zuge des ganzen Hypes um den Veganuary und des Bombardements mit Ersatzprodukten und Aktionen von Seiten Grossverteiler, machte ich somit auf Social Media und vermehrt in direkten Gesprächen darauf aufmerksam, dass es mannigfaltige Gerichte in der pflanzlichen Küche gibt, die komplett ohne all dies auskommen – gerade die asiatische Küche bietet ein Füllhorn spannender Rezepte ohne Produkte, die Herrn Kellers Halsschlagader anschwellen liessen. Auch viele heimische Hülsenfrüchte wie Lupinen, Soja aus dem Thurgau oder Seitan gilt es zu entdecken und dabei gleichzeitig den Anbau pflanzlicher Nahrung und die damit betrauten Bauern zu unterstützen.
Und wenngleich diese Tipps nun nicht eben neu oder aufregend anmuten, so passen sie doch eigentlich ganz gut zum neuen Biedermeier-Lebensstil, wie ich ihn gern nenne. Hip, naturverbunden, “back to the roots” ist es heute schliesslich, wenn im Garten Tomaten angepflanzt, in der Küche Weisskohl geknetet und im Backofen das Bananenbrot gebacken wird. Wir haben seit der Pandemie den Wert von mehr Zeit zu Hause entdeckt, wegfallendes Pendeln und Networking-Events per Zoom werfen uns auf uns selber zurück und sonst nebenbei verrichtete Tätigkeiten wie Essen und Einkaufen werden plötzlich mit einer nie gekannten Bedeutung aufgeladen.
Man will wieder mehr wissen, wo die Lebensmittel wie produziert wurden, sucht Hofläden in der Nähe auf und bestellt sich auf dem Weg zur Subsistenz einen Joghurtbereiter nach Hause. Alles Homemade – selber machen statt kaufen, wie eine Absage an den Kapitalismus, bei der man ihn vor dem endgültigen Abschied doch noch zum Tee einlädt, um in Kontakt zu bleiben. Gemüse einmachen, Konfitüre kochen und Schals stricken; mit Begeisterung stürzen sich Herr und Frau Schweizer in Tätigkeiten, die sie früher noch belächelten und ja, auch Männer laufen hier zur Hochform auf. Ein Sous-vide-Garer und das Einrichten der eigenen Holzwerkstatt gehören auf jeden Fall zum modernen Mann in urbaner Umgebung, gern mit stylischem Wollpullover à la Skandinavien, Hygge, Lagom, die Schweden wissen, wie’s geht. Und wenngleich ich mich gern leicht süffisant darüber lustig mache, so könnte diese manchmal leicht ostentativ in Szene gesetzte Rückbesinnung auf die natürlichen Lebensgrundlagen doch auch die entscheidende Chance sein, tatsächlich ein Umdenken zu bewirken.
Wenn die Menschen direkt zu fairen Preisen beim Bauern einkaufen und möglichst naturnah konsumieren, statt sich in die nächste Produktflut veganer Schnitzel, Burger und Stangeneier (kein Witz) zu stürzen, so ist dies allemal viel wert. Und wenn sie ihre heimischen Tofucurries fotogen in Szene setzen und damit weitere sogenannte Foodies inspirieren, so soll es mir recht sein und ich werde – versprochen – mich auch nicht weiter darüber lustig machen, wenn sie in den Ferien nicht nur jemanden suchen, der die Katze, sondern auch den Sauerteig füttert.
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