“Fast so umstritten wie Andreas Glarner” lautete der Titel des sehr reisserischen Leads im Artikel von «20 Minuten» zu meinem Nachrücken in den Nationalrat. Bereits zu Beginn wurde ich als eine der polarisierendsten Politikerinnen des Landes bezeichnet und auch die Version in «20 Minuten» Print griff meine Aussage, «ich frage mich bei stark beleidigenden und diffamierenden Nachrichten jeweils, was das für frustrierte Würmli sein müssen, die so viel Lebenszeit investieren, um jemanden nach Strich und Faden fertig zu machen», heraus und titelte damit den Artikel.
Diese Titel, der Lead und die Aufmachung des Artikels standen jedoch in schrillem Kontrast zu meinen im Interview getätigten Aussagen – die auch alle korrekt wiedergegeben wurden. Tatsächlich habe ich im Interview betont, im Parlament Brücken bauen zu wollen, statt Blockaden zu verhärten und Gräben aufzuschütten. Ich möchte die verhärteten Fronten zwischen ökologischen Kräften, den Bäuerinnen und Bauern und dem Tierschutz aufweichen und für gegenseitiges Verständnis und einen Perspektivenwechsel sowie einen Grundrespekt für die jeweils andere Position werben. Im Interview wird denn auch korrekt zitiert: «Ich hatte durch meine Arbeit als Projektleiterin in diesem Jahr so viel Kontakt zu den Bauern, aber auch dem Gewerbe, wie noch nie. Es war extrem bereichernd zu sehen, wie die Bauern die Berner Politik wahrnehmen. Häufig kommt bei ihnen etwas ganz anderes an, als wir es im Parlament gemeint haben. Das ist ein klares Signal, dass wir mehr miteinander reden und vor allem, uns ehrlich zuhören müssen.«
Auch habe ich betont, dass ich mich auf einer Metaebene für einen konstruktiveren Diskurs und eine Abkehr von der zunehmenden Polarisierung und Aggressivität der Tonalität einsetzen möchte. Dass ich Formate etablieren möchte, in denen man ohne konkreten politischen Output Themen diskutiert und Positionen am runden Tisch bespricht, ohne den Anspruch, daraus direkt politische Programme oder Kampagnen abzuleiten, einfach um ein gegenseitiges Verständnis für die Lebensrealität des jeweils anderen zu schaffen. Klar, diese Aussagen schafften es nicht ins Interview, was ich auch niemandem vorwerfe, sind sie doch etwas zu umständlich und langatmig formuliert – nichtsdestotrotz aber einige meiner wichtigsten Anliegen.
Was ich dem Artikel aber tatsächlich vorwerfe, ist die Titelsetzung und der Lead, die eine komplett andere Geschichte erzählen und Person zeichnen als diejenige, die ich bin und auch im Widerspruch zu meinen getätigten Aussagen stehen. Klar ist es attraktiv und eine Schlagzeile “fast so umstritten wie Andreas Glarner” generiert Klicks, insbesondere von Menschen, die dann meine tatsächlichen Aussagen im Interview gar nicht lesen, sondern mich auf X und anderen Kanälen mit üblen Nachrichten eindecken. Klar, meine Aussage, stark beleidigende und diffamierende Schreiber (kein Gendern notwendig) seien “frustrierte Würmli” ist tatsächlich nicht eben die diplomatischste Formulierung, die ich hätte wählen können – das nehme ich auf mich. Aber dass exakt diese Aussage, die ganz zum Schluss und eher in einem Nebensatz fiel, aus dem Kontext gerissen und als Titel verwendet wird – was soll das? Nun ja, ich lerne daraus und habe meine Konsequenzen gezogen. Ich stehe für einen konstruktiven Politstil und eine respektvolle Tonalität. Daher gilt künftig:
1) Zitate so wählen, dass sie keinesfalls für die Zwecke des Clickbait-Imperativs missbraucht werden können.
2) Ich verabschiede mich von X, einer Plattform, die die Polarisierung und den diffamierenden Umgang kultiviert und fördert.
3) Ich investiere etwas Zeit, mir eine gepflegte Website, einen Instagram- und Linkedin-Account aufzubauen, um dort zu kommunizieren, was ich beruflich und politisch tatsächlich mache und wofür ich stehe. Auf keinen Fall für Polarisierung und weitere Beförderung von Clickbait-Journalismus, der auf negative Emotionen und Aufhetzen der Gemüter zielt.
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