Kürzlich war ich für einen Austausch mit dem Zoodirektor des Zoos Zürich seit längerer Zeit wieder einmal im Zoo. Eine kurze Führung danach hat mich dann dazu bewogen, direkt am folgenden Wochenende den Zoo zu besuchen und in Bezug auf kommunikative Massnahmen, Nachhaltigkeitsstrategie und Reaktionen und das Verhalten der Besuchenden sowohl im Vorfeld zu recherchieren als auch vor Ort ein paar empirische Beobachtungen zu sammeln.
Ob es uns Menschen aus ethischen Gesichtspunkten zusteht, Tiere zu halten und zu zeigen, sei dahingestellt, diese Argumentation möchte ich hier nicht führen, aber wenn wir Tiere halten, dann gern mit dem Anspruch und dem Bildungsgedanken des Zoos Zürichs. Ich war also vor Ort, weniger um die Geckos und Papageien zu beobachten, als mehr ob meiner eigenen Spezies willen, deren Beobachtung sich nicht nur aus humoristischen Gründen immer wieder lohnt.
Im Vorfeld bin ich natürlich meinem Rechercheauftrag nachgekommen, indem ich die Entwicklung des Zoos Zürich in Erfahrung gebracht und das Leitbild in Bezug auf dessen konkreten Niederschlag in Handlung und Umsetzung abgeklopft habe. Tatsächlich kann der Zoo Zürich als ein absolutes Leuchtturmprojekt nicht nur in Bezug auf die Tierhaltung (Masoalahalle, Entwicklung hin zu integrierten Lebensräumen, die den Tieren Rückzugsmöglichkeiten und den Menschen das Erleben des funktionierenden Ökosystems bieten), sondern insbesondere bezüglich der ganz konkreten Implementierung von Nachhaltigkeitsmassnahmen bezeichnet werden – und das sage ich mit einem durchaus kritischen Blick auf die Diskrepanz zwischen PR-Strategie und konkretem Handeln.
Wir kennen die Nachhaltigkeitsversprechen aus den Marketingstrategien sämtlicher Grossverteiler – ein M nachhaltiger, “jede Rappe zellt”, Generationenversprechen; der postulierte sorgsame Umgang mit unseren Ressourcen gehört mittlerweile so integral zu einer gelungene PR-Strategie wie die gleichzeitige Bewerbung möglichst günstiger Grillangebote aus Übersee. Doch tatsächlich gilt hier: man muss mit allem rechnen. Auch mit dem Positiven.
Während Zoos jetzt wirklich nicht in erster Linie für progressives Voranschreiten was Umweltbewusstsein und Beiträge zu Verhaltensänderungen der Bevölkerung bekannt sind, kann der Zoo Zürich hier wirklich mit konkreten Meilensteinen aufwarten. So bezieht er 100% erneuerbaren Strom, produziert eigenen Strom mittels Photovoltaik und Solarpanels an 6 Standorten, installierte Erdsonden und Wärmepumpen und verfügt über ein ausgeklügeltes Heizsystem. Auch Recycling wird gross geschrieben und die Gäste werden ermutigt, sämtlichen Müll zu trennen und an Recyclingstationen abzugeben – inklusive Kompost, denn sämtliches Take-Away-Geschirr aus dem Restaurant ist kompostierbar. Allein für die Gebäudetechnischen Innovationen und Features hat sich der Besuch im Zoo bereits sehr viel mehr gelohnt als für den Blick auf die Elefanten, wie ich zugeben muss. Doch nicht nur das. Aufgrund meiner thematischen Ausrichtung und meinem Engagment für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und ein umwelt- und tiergerechtes Ernährungssystem hat mich natürlich allem voran die Gastronomie interessiert. Und auch hier wurde ich überrascht: ganz unauffällig, ohne die Thematik allzu stark hochzuspielen, hängt der Zoo Zürich bezüglich Klimagerechtigkeit in der Gastronomie viele mir bekannte öffentliche und private Verpflegungseinrichtungen ab.
So stammen beispielsweise Rohprodukte zum Grossteils aus der Region, zumindest aus der Schweiz, auf Flugware wird komplett verzichtet. Fische stammen aus Schweizer Gewässern oder Schweizer Zucht und Meerfisch, Schalentiere oder Meeresfrüchte werden gar nicht angeboten. Auch das Fleisch stammt ausschliesslich aus Label-Haltung in der Schweiz, das Glacé ist palmölfei und aus Schweizer Milch und Rahm hergestellt. Die Pommes Frites sind aus Kartoffeln aus dem Kanton Zürich zubereitet («Züri Frites»), ausfrittiert in Schweizer Rapsöl. Die Hälfte der in den Zoorestaurants angebotenen Gerichte ist vegetarisch oder vegan und das Angebot in dieser Hinsicht wird weiter ausgebaut.
Das liest sich – von mir formuliert – wie die Inkarnation des bürgerlichen «Bevormundungs-Grüner-Zwang-Alptraums», entsprechend lässt es mein umweltbewusstes Herz höher schlagen. Doch statt Reaktanz und hässige Bevormundungs – Posts auf Social Media löst das Angebot und die ganze auf Kreislaufwirtschaft optimierte Anlage bei den mit Sicherheit nicht gerade linksgrün zu verortenden Menschen schlicht Begeisterung und Wohlwollen aus. Kinder ertränken ihre veganen Chicken Nuggets in Ketchup, Eltern bedienen sich am pflanzlichen Masoala-Curry und lesen tatsächlich aus freien Stücken kurze Texte zur Regenwaldrodung.
Alles ohne das Gefühl, bevormundet, erzogen oder zu Verzicht genötigt zu werden – tatsächlich wird man im Zoo Zürich zu nachhaltigen Verhaltensweisen geleitet, ohne es bewusst zu registrieren; ein Lehrstück des Nudgings, wie man es nur aus Umweltökonomie-Vorlesungen kennt. Eine ganze Weile verbleibe ich noch im Zoo und beobachte meine eigene Spezies mit der Forschungsfrage im Hinterkopf, inwiefern auch der Bildungsauftrag, den sich der Zoo auf die Fahne schreibt, ausgeführt wird. Die Take-Home-Messages sind kurz und mit eindrücklichen Bildern oder 3D-Filmerfahrungen untermalt. Orang-Utans stolpern durch brandgerodeten Regenwald, die rasant voranschreitende Zerstörung unseres Planeten wird in vorstellbare Masseinheiten verpackt (Fussbalfelder pro Sekunde, ich fühle mich an meine Maturitäts-Mathematikprüfung erinnert) und Kinder stellen tatsächlich interessierte Fragen. Mit den schwarz-weissen, klein bedruckten Schrifttafeln, die ich aus meinen Zoo-Besuchen aus der Kindheit kenne und die mir meine Eltern vorlasen, während ich darauf wartete, dass sich das Krokodil vielleicht doch einmal bewegen würde, hat dieses farbige, snackable Infotainment-Erlebnis nichts mehr zu tun.
Ein kleiner Teil von mir fühlt sich abgestossen. Muss denn wirklich alles in farbige Infohäppchen verpackt werden, müssen selbst Umweltkatastrophen möglichst unterhaltsam aufbereitet werden? Ich beobachte die Besucherinnen und Besucher und muss konstatieren: Offensichtlich ja.
Im Gegensatz zu den Schrifttafeln werden die Filme mit Interesse begutachtet, es wird darüber gesprochen und Kinder fragen nach dem Warum. Es wird recycelt, vegan gegessen und sich informiert, ohne das Gefühl belehrt zu werden, schlicht dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments folgend, weil ein pflanzliches Chicken Nugget nach den Orang-Utan Bildern einfach besser schmeckt. Das ist die Art, wie wir die Menschen von nachhaltigem Verhalten überzeugen können, dessen bin ich mir sicher und sehe hier den Zoo Zürich als grosses Vorbildprojekt.
Natürlich freue ich mich über jedes Kochbuch nach “Planetary Health Diet” und wie sie alle heissen – doch die Mehrheit der Bevölkerung werden wir nicht durch vernünftige Argumentationen, sondern durch das Vergnügen bei der Ausführung und die Freude am Machen erreichen. Es scheint zu funktionieren und ich empfehle allen umweltbewussten Kampagnenleiterinnen und -leitern einen Besuch im Zoo Zürich für ein Lehrstück in Nachhaltigkeitskommunikation.
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