Schlecht, schlechter, gut gemeint, könnte eine Zwischenbilanz des nun einjährigen Verbots des Kükentötens in Deutschland lauten. Damals als Meilenstein des Tierschutzes bejubelt, hat es auch mich inspiriert, vom Bund ein Verbot des Kükentötens in der Schweiz zu fordern. Was in Deutschland möglich ist, müsste in der Schweiz, dem Land des viel zitierten besten Tierschutzgesetzes der Welt, doch sicherlich auch umsetzbar sein.
Nachdem ich mich über Zweinutzungshühner, Bruderhähne und die industrielle Legehennenproduktion (drei Konzerne beliefern den gesamten Weltmarkt mit den Elterntieren der Legehennen – auch die Schweiz) informiert hatte, schien mir der Weg zum Ziel klar: zurück zu älteren Rassen, bei denen auch die männlichen Küken aufgezogen werden. Weg von der industriellen Produktion mit Masthybriden und Legehühnern, die so auf Legeleistung optimiert wurden, dass sich eine Aufzucht der Männchen aufgrund des geringen Fleischzuwachses nicht lohnt. Gedacht, getan, ich reichte eine Motion ein, die von der Schweiz ein Verbot des Kükentötens fordert.
Im Nachgang jedoch recherchierte ich weiter, las mich vertieft ein, beobachtete die Entwicklungen und Lösungsansätze in anderen Ländern und suchte den Kontakt zu Akteuren aus der Branche. Das Resultat war erfreulich und ernüchternd zugleich. Zwar herrscht von Seiten der Branche eine grosse Bereitschaft und ein Interesse daran, aus dem Kükentöten auszusteigen und das selbst gesetzte Ziel lautet “Stopp Kükentöten bis Ende 2023”, doch stehen sinnvolle Lösungen noch aus. Man will auf die Früherkennung im Ei setzen, die zwar eine enorme Reduktion des Tierleides bedeutet, da Küken nicht mehr vergast würden, jedoch noch immer mit einer immensen Ressourcenverschwendung einhergeht, da sämtliche als männlich identifizierten Embryonen vernichtet würden. Es würden also noch immer rund doppelt so viele Eier produziert, wie Legehennen benötigt werden, statt die männlichen ebenfalls ausbrüten und eine Abkehr von der Hybridproduktion wäre nicht in Sicht.
Die Umstellung auf Zweinutzungshühner und Bruderhahnprojekte sei, so der Tenor, noch immer zu ineffizient und würde die Nachfrage mitnichten decken können. Meine Motion, die ein sofortiges Verbot des Kükentötens forderte, würde die Branche noch stärker unter Druck setzen, weshalb direkt weibliche Küken importiert würden, deren männliche Geschwister im Ausland vergast werden, da die Früherkennung im Ei noch nicht marktreif ist. Ich zog also meine Motion zurück, um Ende 2023 abzuwarten und zu beobachten, auf welche Lösung die Branche dann setzen wird, da spätestens dann keine Küken mehr vergast werden sollen. Aus Tierschutz- und Tierrechtskreisen erntete ich für diesen Rückzug harsche Kritik, um nicht zu sagen Schimpf und Schelte, doch ein Blick über die Grenzen gibt mir nun recht.
Deutschland hat schliesslich vor einem Jahr das Verbot des Kükentötens beschlossen – was ist seither passiert und wie sieht die Situation nun aus? Laut Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft lohnt sich die Aufzucht der Hähnchen für die meisten Betriebe nicht, da die Tiere wesentlich weniger an Gewicht zulegen als Masthähnchenrassen und im Verhältnis viel mehr Futter brauchen. Abgesehen von einzelnen regionalen Initiativen im höheren Preissegment ist die Nachfrage nach Bruderhahn-Fleisch in der breiten Masse zu gering. Auch sind vielfach die Stallkapazitäten schlicht nicht vorhanden, um die gleiche Anzahl männlicher Küken aufzuziehen, weshalb diese zu grossen Teilen frisch geschlüpft unter tierschutztechnisch fragwürdigen Bedingungen nach Polen exportiert und dort aufgezogen werden.
Dies ist zwar bereits weit entfernt von einer optimalen Lösung, doch immer noch besser als die zweite Option: Oftmals werden die männlichen Küken nämlich auch ins Ausland exportiert, um dort getötet zu werden. Dies ist natürlich zum einen absolut nicht Sinn und Zweck des Gesetzes, zum anderen aber auch eine dreiste Verbraucher*innentäuschung, da Konsumierende in Deutschland seit Inkraftreten des Gesetzes davon ausgehen dürften, dass für ihre Eier keine Küken mehr getötet werden. Option drei ist die wohl am Häufigsten auftretende: die Legehennen werden nicht mehr in Deutschland ausgebrütet, sondern im Ausland, inklusive Kükentöten. So ist laut Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft der Import von Legehennenküken seit Inkrafttreten des Verbots um 47% gestiegen. Laut Zahlen des Zentralverbandes werden ausserdem 45% weniger Legehennen in Deutschland ausgebrütet. Robert Schmack, Vorsitzender des Verbands der bayerischen Geflügelwirtschaft hat diese Entwicklungen kommen sehen: «Die Wirtschaft hat im Vorfeld auf die Probleme hingewiesen, die da auf uns zukommen. Und leider sind alle diese Probleme eingetreten.»
Das Verbot des Kükentötens – ein Schritt vom Regen in die Traufe für die Tiere? Die Bilanz nach einem Jahr legt dies nahe, und genau dies wollte ich mit dem Rückzug meiner Motion vermeiden. Oftmals ist es wichtig, Druck auf Branchen auszuüben und politisch Tatsachen zu schaffen, wo diese sich nicht bewegen. Aber manchmal ist es lohnender, Hand in Hand mit der Branche nach Lösungen zu suchen, die auch umsetzbar sind und tatsächlich zum gewünschten Output führen. Wenn wir in der Schweiz keine Küken mehr töten, nur um sie ins Ausland zu verfrachten oder direkt weibliche Küken zu importieren, tun wir den Tieren einen Bärendienst. Um die aktuell nachgefragte Masse zu produzieren, sind wir derzeit noch auf die industrielle Hybridzucht angewiesen, da Zweinutzungshühner schlicht zu ineffizient sind – und da sind wir beim Punkt, an dem kein Weg vorbei führt: wir müssen den Konsum reduzieren, statt die Tiere auf unseren Konsum hin zu optimieren.
Wenn wir die Produktion tierfreundlicher gestalten wollen und politisch darauf hinarbeiten, müssen wir zugleich auf eine Änderung des Konsumverhaltens hinwirken, sonst werden die Weichen, die politisch gestellt werden, nur zu weiteren Entgleisungen auf Kosten der Tiere führen. Neben der politischen Arbeit, in der ich mich auf eine Abkehr von Hochleistungsrassen und der Hybridzucht fokussiere, setzte ich mich daher gleichzeitig gesellschaftlich für eine Reduktion des immer noch wachsenden Poulet- und Eierkonsums ein. Das bedeutet weder Zwang noch Umerziehung der Konsumierenden, sondern schlicht und einfach Transparenz: wenn wir so weiter konsumieren, geht dies nur mit Hochleistungsrassen und absoluter Abhängigkeit von Weltmarktbelieferern mit Legehennen- und Masthuhnelterntieren. Auch ums Kükentöten kommen wir dann nicht herum – allen Früherkennungstechniken zum Trotz bleibt letztendlich eine massive Ressourcenverschwendung, die wir mit einer Änderung des Konsumverhaltens einfach beheben könnten. Und nein, dies ist nicht die Moral-, dies ist die Transparenzkeule. Denn die freie Konsumentin ist nur frei, wenn sie bei voller Information über das Produkt und die Konsequenzen ihres Handelns ihre Entscheidung fällt. Wer gegen das Töten männlicher Küken ist, reduziert seinen Konsum, alles andere ist Augenwischerei.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
Weitere Kolumnen von Meret Schneider
- Veganuary und die Mühlen des Kapitalismus
- Auf ein frohes neues Ja!
- (K)Ein Zielkonflikt mit Konfliktpotenzial
- Das Jahr geht zu Ende – lasst uns ranken!
- Festhalten an Fleischsubventionen
- Kein Schwein hat, wer Schweine hat
- Tierqual im Schatten der Stopfleber
- Ein Schultersch(l)uss ins eigene Bein?
- Froschschenkel mit Folgen
- Mehr Lächeln und Winken
- Espresso als Imperativ der Optimierungskultur
- Transparenz bei den Pflanzenpatenten – und beim Lobbyismus
- Oleo mio – das Öl in aller Munde