“Zwei Espressi, bitte!”, orderte der funktionsbekleidete Herr in Begleitung seiner Partnerin am Nebentisch und der korrekte Plural riss mich aus meiner Lektüre. Wenig später kamen die beiden Tässchen, schwarz, mit kleinem Amaretti am Tellerrand und die Crema wurde inspiziert, während Herr Northface seiner Partnerin mit Blick auf seine Uhr über gelaufene Kilometer, Höhenmeter und Kalorien dozierte. Es folgte ein Referat zu Espresso, dem ich vermutlich interessierter lauschte als die Partnerin, die inzwischen mit ihrer Uhr beschäftigt war, womöglich ihre Daten mit jenen von Herrn Nothface verglich.
Von der Röstung und der Wahl der Bohnen über die Wahl der Espressomühle bis zur Art und Weise der Zubereitung herrschen strikte Regeln, so lernte ich, deren Missachten einen minderwertigen Espresso zur Folge hätte – womit sich jedes Restaurant, jedes Cafè und jedes noch so heruntergekommene Bistro unwiderruflich disqualifiziert. Der perfekte Kaffee ist der Espresso; in Italien wird er auf die Bestellung eines cafè serviert und auch in Frankreich erhält der ahnungslos „un café“ bestellende Tourist einen Espresso, der dort auch unter dem Namen „petit noir“ bekannt ist. „Petit noir“ – womöglich das kulinarische Äquivalent zum „petit mort“, der den Orgasmus bezeichnet? Letzterer Gedanke, ich gebe es zu, stammt eher von mir als von Herrn Nothface, dieser hält sich an die Fakten, ich merke es.
Dass der Espresso allerdings kraft seiner Kürze und Konzentration keiner langatmigen Lobeshymnen bedarf, scheint die Marketingindustrie vor Herrn Northface für sich entdeckt zu haben. Slogans wie „Nespresso – What else?“ (Nespresso), „Espresso. No limits.“ (Allegretto), „Short, dark & intense.“ (Nescafè espresso) tun es dem Espresso gleich: wenige, schlagende Worte; das Destillat einer ausufernden Begeisterung, die dem kurzen, perfekten Espresso doch nie gerecht zu werden vermag.
Die Männer, die solche Sätze äussern, scheinen eins gemein zu haben: sie sind von einer souveränen Arriviertheit; ihr Erfolg, ihre Kompetenz, die jedoch, im Gegensatz zu Auto- oder Deowerbungen, einhergeht mit einer ungemeine Sympathie und Gelassenheit, senden die Botschaft, die sie verbal bewusst nicht senden. Espressotrinker brauchen keine Action, es wird auf Statik gesetzt. Selbst der Sportler Roger Federer wird „ganz privat“, elegant gekleidet und die Ruhe selbst, einfach nur beim Verköstigen des Luxusgutes gefilmt, gleich verhält es sich mit George Clooney.
Espresso macht dich nicht erfolgreich, intelligent oder gutaussehend – Du trinkst Espresso, weil du erfolgreich, intelligent und gutaussehend bist. „Was du trinkst, ist uns egal – erfolgreiche Menschen trinken Espresso“, scheint die implizite Botschaft vieler Werbungen zu sein. Das Geheimnis der Espressowerbungen liegt in ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit. Espresso behauptet nicht, dir neue Fähigkeiten oder Attribute zu verleihen, sondern lediglich, dir dazu zu verhelfen, dein Potenzial auszuschöpfen. Dafür braucht es weder Millionärsattribute wie teure Uhren, noch grosse Sportwagen – es ist völlig ausreichend, dass der Akt des Trinkens von einer den Erfolg verkörpernden Person zelebriert wird, die es gar nicht nötig hat, auf ihren Erfolg hinzuweisen. Dadurch wird dem „kleinen Mann“ nicht die „grosse Welt“ verkauft, sondern es werden Personen der „grossen Welt“ dem „kleinen Mann“ näher gebracht, wodurch der Aufwärtsvergleich weniger steil ausfällt. Auch Roger Federer und George Clooney sind wie du und ich, wenn sie Espresso trinken: ein Akt des Auftankens, des Innehaltens und des bewussten Geniessens vor oder nach erbrachter Leistung. Espresso – das Getränk jener, die Leistung erbringen.
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft, in der permanentes highperformen, dabei aber trotzdem stets Herrin der Lage zu sein und mit der linken Hand dabei im Hygge Eigenheim Cinnamon Rolls zu backen zum Imperativ dazugehören, zählt sich auch der kleine Mann gern zu jenen, die Leistung erbringen. So viel Leistung, dass ihm für längere Entspannungsphasen, die einen Latte Macchiato rechtfertigen würden, – leider! – die Zeit fehlt. Immer busy, immer auf Draht, gönnt er sich dennoch von Zeit zu Zeit jene 3 Minuten Achtsamkeit, die das umso bewusstere Verköstigen eines Espresso in Anspruch nimmt und erhält sich dadurch die Gelassenheit, Souveränität und Leistungsfähigkeit eines Roger Federers oder George Clooneys.
Witzigerweise ist diese Art der Kaffeewerbung absolut kein neues Phänomen, auch wenn es perfekt zum Zeitgeist passt. Tatsächlich tat Kafka mit seinem Zitat „Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub“, im Prinzip dasselbe wie George Clooney, wenn er sagt „Nespresso – What else?“ – nur, dass letzterer dafür gut bezahlt wird. Allein das Statement Kafkas oder auch Kants, der meinte: „Ich trinke Kaffee, jede Menge“ reicht als Werbung für das Getränk völlig aus und etabliert den Kaffee als Schaffenselixier der geistigen Elite. Mag sich der Fokus, der früher stark auf der Intellektualität lag, auch auf die Elite einer Gesellschaft generell verschoben haben, so erinnert doch die Art und Weise der Inszenierung Federers oder Clooneys an diese Zeit.
Beide werden nicht in ihrem „eigentlichen“ Metier oder Milieu gefilmt, sondern als „Auftankende“, „Innehaltende“, „Räsonnierende“. Das „What else?“ ist das „Ich wäre sonst schon Staub“ der heutigen Gesellschaft – hätte sich Kafka damals der Kaffeeindustrie besser zu vermarkten gewusst, es wäre eine Marketingsensation gewesen. Inzwischen hatte auch Herr Northface seinen Kaffeemonolog beendet, mit dem er sich von der unwissenden Mehrheit der Espressibanausen distanziert hatte und seine Partnerin hatte den Espresso ausgetrunken. Ein Blick auf die Uhr verriet ihnen, dass sie nun los müssten, “um 17:00 Uhr beginnt das Ashtanga-Yoga”, bemerkte die Dame und beschwingten Schrittes joggten die beiden weiter. Ganz Highperformer halt.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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