Meret Schneider: Habeck, die Bauern und die Situation in der Schweiz

Meret Schneider: Habeck, die Bauern und die Situation in der Schweiz
Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Bauern und die Agrarpolitik beschäftigen Europa – seit den Bauernprotesten, die mittlerweile von Deutschland aus auf diverse andere europäische Länder ausstrahlen und andere Bauern zum Protest motivieren, wird wieder einmal eine heisse Diskussion um Landwirtschaftspolitik, Subventionen, Einkommen und Preisbildung geführt. Und man mag sich an den grossen Landmaschinen und dem ein oder anderen gruseligen Auto-Aufkleber stören: diese Debatte ist so wichtig wie kaum zuvor und muss mit genau dieser Dringlichkeit geführt werden – auch in der Schweiz.

Bauern gehen auf die Strasse für faire Produzentenpreise, gegen die Streichung von Unterstützungsgeldern und – wie leider in allen Protestbewegungen – aus einem angestauten Unmut gegen “die da oben” heraus, der auch einmal zu unreflektierten Parolen, Forderungen und Feindbildern führt, die in dieser Kolumne jedoch nicht diskutiert werden sollen. Tatsache ist: Sowohl in Deutschland, als auch in der Schweiz haben Bauern mit einer Gleichzeitigkeit aus höheren Produktionskosten und strengeren Auflagen bezüglich Umwelt und Tierwohl (wobei letzteres an sich positiv zu bewerten ist) zu kämpfen, die jedoch nicht durch höhere Produzentenpreise abgegolten werden, was de facto einer Lohnkürzung in einer ohnehin prekären Situation gleichkommt. Kommt dann noch eine Ankündigung der Streichung von Geldern hinzu, überläuft das übervolle Fass und Wut und Empörung werden gemischt mit einem Gefühl der Ohnmacht und Verzweiflung auf die Strasse getragen und manchmal auch gegen die falschen Personen gerichtet. Während in Deutschland Robert Habeck unter die Traktorräder kommt, wenden sich Schweizer Bauern ganz allgemein gegen “die Politik” und die Kürzung landwirtschaftlicher Gelder – letzteres zwar zu Recht, aber nicht ausschliesslich.

Habeck hat in Deutschland auf die Bauernproteste reagiert, indem er Reformen angekündigt hat, wie Bauern in Bezug auf die Preisbildung künftig stärker einbezogen werden können. “Das Hauptproblem der Landwirtschaft ist häufig, dass sie ihre Produktionskosten nicht weitergeben können. Der Markt ist nicht fair”, so äusserte er sich gegenüber dem Spiegel vergangene Woche. “Die Preise werden nicht von den Bauern gemacht, sondern von der abnehmenden Hand und der Zwischenverarbeitung, also den Schlachtereien, den Molkereien oder den großen Discountern.” Soweit, so korrekt. Will man die Bauern von ihrer starken Abhängigkeit von Direktzahlungen und der damit verbundenen ausufernden Bürokratie befreien, brauchen sie Produzentenpreise, die existenzsichernd sind, was aktuell auf dem Markt nicht der Fall ist. Wie Habeck das politisch allerdings angehen will, ist mir bislang ein Rätsel: aufgrund der unternehmerischen Freiheit kann er Discounter und Verarbeitung kaum zu einer Preiserhöhung zwingen, ohne dass diese schlicht auf Billigimporte ausweichen können. Da ich aber davon ausgehe, dass ein Wirtschaftsminister tiefergehendere Überlegungen angestellt hat als ich, werde ich die Situation weiter beobachten und vielleicht Relevantes für die Schweiz daraus lernen.

Etwas anders sieht die Situation in der Schweiz aus. Auch hier leiden Bauern unter unfairen Produzentenpreisen und einem Marktmachtgefälle, das dazu führt, dass tiergerechtere und umweltschonendere Produktion mit ihren höheren Kosten massiv benachteiligt wird. Im Gegensatz zu Deutschland existiert aufgrund genau dieser Problematik seit 2023 der Verein Faire Märkte Schweiz, der die Stimme der Bauern gegenüber dem Grosshandel und der Verarbeitung vertritt, stärkt und mit Projekten zur Stärkung der Direktvermarktung unterstützt. Ein weiterer und oft missverstandener Punkt betrifft jedoch die Branchenorganisationen, die für die Preisbildung zuständig sind. Der Schweizer Bauernverband fordert nämlich von den Verbänden und Unternehmen eine Erhöhung der Produzentenpreise um mindestens 5 bis 10 Prozent noch in diesem Jahr – völlig gerechtfertigt.

Wer sind aber die Verbände und Unternehmen und wem gehören sie tatsächlich? Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus: den Bauern selbst.

Die grössten Milchverarbeiter Emmi, Cremo und Hochdorf, Branchenverbände wie Proviande, IP-Suisse und die Agrargenossenschaft Fenaco gehören – wenn man sich die Vorstände ansieht – mehrheitlich den Bauern selber und sind für ihre eigene Preisbildung verantwortlich. Was also zu tun wäre, wäre ein Antrag zur Erhöhung der Produzentenpreise um 10% an der nächsten Generalversammlung und diesen durchzusetzen. Machbar wäre es, die Frage ist, ob die Bauern, die in diesen Gremien Einsitz haben, tatsächlich die Interessen der produzierenden Bauern vertreten oder sich doch zu stark von Industrie und Verarbeitung instrumentalisieren und einschüchtern lassen. Ich hoffe auf Ersteres und motiviere damit auch den Bauernverband dazu, mit den eigenen Mitgliedern in den Verbänden ein Hühnchen zu rupfen – ansonsten legen sie sich, um im Geflügelbereich zu bleiben, ihr eigenes Ei.


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