Jaaa, ich geb’s zu: Als Mensch ohne Instagram-Account Instagram zu kritisieren, fühlt sich ein bisschen an wie als Vollblut-Fleischesser angesichts der pflanzlichen Alternativen auszurasten. Kenn ich nicht, mag ich nicht, will ich nicht, ham’wer doch früher auch nicht gebraucht.
Und jaaa, ich habe mich in der Vergangenheit auch öfter mal über die weit gefasste Gruppe der “Instagrammer*innen” mockiert, die sich von hinten mit Badetuch um den Kopf von der Hotelterrasse ablichten, auf Aussichtsplattformen Yoga-Posen zeigen oder ihr ungeschminkt immer noch unanständig hübsches Gesicht mit dem Hashtag #wokeuplikethis posten. Wenn sich Boomerinnen und Boomer am Stammtisch übers Gendern beschweren, habe ich den ein oder anderen Witz über Herrn und Frau Influencer gemacht, im Wissen, dass es sich dabei oft um gestandene Unternehmerinnen und Unternehmer handelt, die damit ein Vielfaches meines Gehalts verdienen und die, wenn ich ganz ehrlich zu mir selber war, doch irgendwie meine Bewunderung auf sich zogen. Klar, so würde ich nie sein wollen, aber vor der Leistung: Chapeau!
Ein harmloser Witz da, ein bissiger Nebensatz dort: Das war mein Verhältnis zu Instagram. Während mich im Wahlkampf alle zu einem Account überreden wollten, weil diese Plattform essentiell sei für die Erreichung einer jüngeren Zielgruppe, blieb ich stoisch accountlos, hüpfte auf damals noch Twitter gezielt von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen und amüsierte mich köstlich. Die aktuell angekündigte Änderung von Meta, die Instagram im Kern trifft, hat mich jedoch zu diesem Artikel fern von Aperol Spritz in der Abendsonne bewogen, da sie mir ernsthaft Sorgen bereitet. So war auf Instagram kürzlich Folgendes zu lesen:
Wir möchten für alle Menschen ein grossartiges Erlebnis auf Instagram und Threads schaffen. Wenn du von dir aus Konten folgst, die politische Inhalte posten, möchten wir dir nicht im Weg stehen. Wir möchten aber von uns aus keine politischen Inhalte von Konten, denen du nicht folgst, empfehlen. Deshalb weiten wir unser bestehendes Konzept zum Umgang mit politischen Inhalten aus: Wir werden dir proaktiv keine Inhalte zum Thema Politik empfehlen.
Wer dennoch weiterhin politische Inhalte sehen möchte, muss die Einstellungen ändern und diesen explizit folgen. Ob ein Konto von Instagram als politisch klassifiziert wird, soll über die Einstellungen überprüfbar sein – doch wie die Klassifizierung vonstatten geht, gibt Meta nicht preis, ebenfalls finden sich keine Kriterien, die sich überprüfen lassen würden. Dem Blogpost von Meta ist nur zu entnehmen, dass Inhalte betroffen sind, die „Gesetze, Wahlen oder soziale Themen“ behandeln. Auch “gesellschaftsrelevante Themen” sind betroffen, was zu einigen Absurditäten führt.
Klar, der Grund für die Änderungen liegt auf der Hand: Angesichts der anstehenden US-Wahlen sieht sich der Konzern Meta bereits jetzt von Desinformation, Deep Fakes und Hetze überfordert und damit gezwungen, proaktiv irgendwelche Massnahmen zu ergreifen, wobei “irgendwelche” hier zentral ist. Die Änderungen sollen “mit der Zeit” in Kraft treten, aber bereits jetzt sind Accounts von der Unterdrückung ihrer Inhalte durch den Algorithmus betroffen.
Ein nicht allzu naheliegendes Beispiel ist ein befreundeter Lebenshof, auf dem Tiere ihr tiergerechtes Dasein fristen, statt der Nutztierindustrie zum Opfer zu fallen. Schweinchen, Hühner, Einblicke in den Gemüsegarten – all dies wird nur noch angezeigt, wenn dem Account explizit gefolgt wird, weil es sich um “gesellschaftsrelevante Themen” handelt. Das wachsende Phänomen der “Trad Wives”, also enorm konservative, oft christlich-orthodoxe Frauen, die am Herd Omas Rezepte für Apple Pies zeigen und dabei ultrarechte Inhalte verbreiten, sind bisher jedoch nicht betroffen, was durchaus Fragen aufwirft. Abgesehen davon, dass es ohnehin problematisch ist, wenn ein Konzern entscheidet, was “gesellschaftsrelevante, politische Inhalte” sind, ohne die Kriterien dafür transparent zu machen, ist auch absolut nicht anzunehmen, dass dadurch die politische Einflussnahme durch Politker*innen und Konzerne abnehmen wird – sie wird nun einfach subtiler und in private Tätigkeiten verpackt.
Der Kampf um politische Einflussnahme wird damit keineswegs abnehmen, sondern sich in andere Bereiche verlagern, subversiver werden und die Transparenz, anders als vom Konzern vorgeblich angestrebt, abnehmen. Die Plattform Instagram ist viel zu wirkmächtig, als dass sich Beeinflussungsinstanzen nicht nur in Bezug auf die US-Wahlen davon zurückziehen würden. Künftig werden es vielleicht Botschaften vom Bikinimodel im Infinity-Pool, vom Proteinshake schlürfenden Fitnesstrainer oder dem “All-Natural-Girl” vor dem Bergpanorama sein, die uns politisch beeinflussen, ohne dass ein Grossteil der Rezipienten es merken wird – weniger politisch wird es keinesfalls. Und uns bleibt nur, weiterhin explizit politischen Accounts, die wir schätzen, zu folgen und als Community Druck auf Meta aufzusetzen, wenigstens ihre Kriterien für politische Inhalte zu veröffentlichen.
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