Wenn wir an pflanzliche Alternativprodukte denken, tauchen bei vielen Menschen sogleich Bilder von “chemischen” Alternativwürsten, Bauern, deren Existenz bedroht ist und dubiosen Zusatzstoffen auf. Doch abgesehen davon, dass die Begriffe “chemisch” und “künstlich” in die Irre führen, da unsere Nahrung, genau wie unsere Umwelt generell als ”chemisch” bezeichnet werden kann und sich auch im Cervelat aus Fleisch Zutaten wie Natriumnitrit, Mononatriumglutamat und Stabilisatoren wie Diphosphate und Polyphosphate finden, ist dieses Bild auch vor einem ganz anderen Hintergrund falsch.
Entgegen der häufigen Annahme, pflanzliche Alternativen seien für die Landwirtschaft, primär eine Konkurrenz und eine Bedrohung, sind sie tatsächlich eine Chance und eine perfekte Ergänzung für die Branche. So sorgt die steigende Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen dafür, dass der Bedarf an proteinreichen Agrarrohstoffen immer weiter und schneller zunimmt und aktuell noch nicht von inländischen Erzeugern gedeckt werden kann, wie in einem Artikel der Agrarzeitung zu lesen ist.
Immer mehr Bauern entscheiden sich neben ihren bisherigen Tätigkeiten zum Anbau von regionalen Kichererbsen, Erbsen und anderen Leguminosen, die – auch unter Berücksichtigung der durch den Klimawandel verursachten Veränderungen – sehr vielversprechend sind. Doch auch neuere Technologien wie Präzisionsfermentation und das sogenannte kultivierte Fleisch sind mitnichten als Bedrohung für die Bauern zu verstehen – ganz im Gegenteil.
Sowohl bei der Produktion von kultiviertem Fleisch als auch bei der Fermentation werden pflanzliche Rohstoffe benötigt. Im Falle der Kultivierung tierischer Zellen bestehen die Nährmedien aus pflanzlichen Ausgangsprodukten, während bei der Präzisionsfermentation pflanzliche Rohstoffe veredelt werden. Entsprechend ist es essentiell – gerade, wenn künftig der Selbstversorgungsgrad hochgehalten werden soll– besonders die landwirtschaftlichen Akteure mit an den Tisch zu holen, um einerseits den Rohstoffbedarf zu decken und andererseits eine inklusive Agrarwende ohne Verlierer zu gewährleisten.
Umso mehr hat mich daher das Projekt “Respectsfarms” gefreut, das auch von der Fenaco mit unterstützt wird. Aktuell arbeiten nämlich mehrere Unternehmen im Ausland, aber auch im Inland (Migros) an Methoden, um effizient und günstig Kulturfleisch zu produzieren. Sie gehen aber von einem industriellen Ansatz aus, wovon die Landwirtschaft nicht profitieren würde und wobei viel Wertschöpfung verloren ginge. Das Projekt «Respectfarms» zielt jedoch auf die dezentrale Produktion von Fleisch in Zellkulturen auf Bauernhöfen ab. Die Vision: Die Landwirtinnen und Landwirte bauen auf ihrem Ackerland die Rohstoffe für die Nährlösung an und kultivieren danach das Fleisch in Fermentern direkt auf ihren Höfen. Das soll eine nachhaltige lokale Produktion und zugleich eine maximale Wertschöpfung für die Bauernbetriebe ermöglichen.
«Respectfarms reduziert die Rolle der Landwirtinnen und Landwirte nicht auf die Zulieferung von Nährmedien, sondern eröffnet ihnen echte Alternativen zur herkömmlichen Fleischproduktion», sagt Florentine Zieglowski, Mitgründerin von Respectfarms in der Zeitung “Schweizer Bauer”. Genau solche Ansätze und innovative Projekte stimmen mich zuversichtlich und auch im Gespräch mit Bauern und Metzgern wird immer wieder deutlich: die Proteinwende ist weder als Bedrohung, noch als sauren Apfel zu begreifen, wie es von den einschlägigen Verbänden teilweise getan wird – im Gegenteil! Es ist eine neue Möglichkeit, ein weiterer Branchenzweig, eine Ergänzung und eine neue Perspektive für den Ackerbau in der Schweiz. Ich freue mich auf viele innovative Bauern, die diese Chance beim Schopf packen und investieren, bevor – wie es uns in der Schweiz leider häufig passiert – wir in diesem vielversprechenden Bereich vom Ausland überholt werden und letztlich nur noch fertige Produkte importieren.
Ein weiterer Punkt, der mich diesbezüglich sehr gefreut hat und in Bezug auf die Zukunft zuversichtlich stimmt, ist die Annahme meiner Motion “Neuartige Lebensmittel testen und bewilligen. Förderung der Innovation in der Schweiz”. Darin fordere ich, dass die Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung dahingehend angepasst wird, dass für neuartige Lebensmittel wie pflanzliche Produkte durch Präzisionsfermentation oder kultiviertes Fleisch die Möglichkeit von Tests eingeführt wird, um frühzeitig das Innovationspotential abschätzen zu können. Der Schutz der Gesundheit und die Lebensmittelsicherheit geniessen dabei selbstverständlich weiterhin oberste Priorität, doch ist es für innovative Startups und Bauern essentiell, neue Produkte, sogenannte Novel Foods auch testen zu können. Nur so machen wir es den Innovator*innen möglich, zu investieren und dem Ruf der Schweiz als wichtige Innovationstreiberin gerecht zu werden. Nach unzähligen Gesprächen mit Akteure aus der Branche und diversen Bauern, die an neuen Fermentationstechnologien interessiert sind kann ich sagen: der Pioniergeist und die Aufbruchstimmung sind da und brennen – jetzt gilt es, das lodernde Feuer nicht sogleich wieder mit Überregulierung und Markteintrittshemnissen zu ersticken und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.
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