Meret Schneider: Online-Kommentare, fake news und ein Lösungsvorschlag
Nachdem vor Kurzem in der Sonntagszeitung ein Portrait über mich, meine Zeit und berufliche Tätigkeit nach dem Nationalrat sowie meinen Umgang mit Hatespeech und Hassbotschaften on- und offline erschien, erreichten mich zahlreiche Zuschriften. Diesmal erfreulicherweise aber nicht niederträchtiger Art, sondern unterstützend, wertschätzend. Ich bin jeweils schlicht schockiert, was einen als öffentliche und ja, das darf nicht unterschlagen werden, weibliche Person alles an Drohungen und Grusligkeiten erreicht.
Von Vergewaltigungsbeschreibungen über Morddrohungen oder schlicht Beschimpfungen das Äusserliche betreffend ist jeweils alles dabei und wie ich von ehemaligen Parlamentskolleginnnen weiss, ist dies ein Phänomen, das die meisten in unterschiedlichen Ausprägungen betrifft. Beflügelt von den zahlreichen positiven Nachrichten wagte ich denn auch einen Blick in die Online-Kommentare unter dem Artikel und auch da waren die wenigsten vernichtend, sondern zumeist zustimmend, wertschätzend und differenziert, was mich überraschte und derart bestärkte, dass ich ganz beschwingt wie über Wolken durch die kommende Woche hüpfte.
Normalerweise tummelt sich in den Online Kommentarspalten ein explosives Konglomerat aus frustrierten Menschen, die sich durch ihre vernichtenden Herablassungen vermutlich gesehen und gehört fühlen, tatsächlich interessierten Lesenden, die berechtigte Kritik anbringen und jenen, die ohne Lektüre des Artikels auf Kommentare antworten, diese verstärken oder verfälscht wiedergeben und ganze Artikel mit falschen Zitaten oder Aussagen versehen teilen und verbreiten.
In den Kommentarspalten entstehen dadurch oft ganze Debatten über vermeintliche Zitate oder Tatsachen, die im Artikel sogar explizit widerlegt werden und durch die vielen offensichtlich nicht der Lektüre willigen überrepräsentierten Kommentierenden entsteht ein absolut verzerrtes Bild der öffentlichen Meinung zum Artikel. So geschehen beispielsweise bei einem der letzten Artikel zu einer Kochsendung im SRF, in dem ich mit Markus Ritter und Mike Egger ein möglichst nachhaltiges Menu zu kochen hatte und tatsächlich bereits in den ersten 5 Minuten richtigstellte, dass ich keine Veganerin bin, sondern durchaus auch ab und zu Milchprodukte oder Eier esse, insbesondere von Höfen, auf denen ich in letzter Zeit sehr häufig zu Besuch bin oder im Berggebiet.
In den Kommentarspalten überschlugen sich die empörten Herren (ja, Herren) ob der Frage, ob “eine Veganerin” der Bevölkerung jetzt Vorschriften zu deren Ernährung machen dürfe und inwiefern Veganismus sowieso absolut ungesund, nicht nachhaltig und in seiner Gänze zu verteufeln sei. Geteilt wurde die Sendung dann mit Überschriften wie “Typisch, die Veganer sagen uns jetzt, was wir essen dürfen” und ähnlich lautendem, worauf wieder eine Debatte entbrannte, nicht minder empört und wieder ohne Lektüre des Artikels oder Sehen der Sendung. Das Beispiel führte mir sehr plastisch die Entstehung von Fake News und einem verzerrten Eindruck einer öffentlichen Meinung anhand der Überrepräsentation dieses Echoraums aus Wutentbrannten, aber offensichtlich nicht an Fakten interessierten Meinungsmachern vor Augen.
In den Sozialen Medien wurde dann nämlich in derselben Tonalität und über dieselben im Artikel und der Sendung explizit widerlegen Fakten weiter diskutiert und dies, obwohl ich nicht nur richtig gestellt hatte, keine Veganerin zu sein sondern auch permanent betonte, dass es insbesondere in Bezug auf eine nachhaltigere Ernährung nicht sinnvoll sei, mit Verboten und Vorschriften zu arbeiten. Eine Sendung lang erläuterte ich, warum eben dies nicht zum Ziel führt und warum das lust- und genussvolle Aufzeigen von Alternativen, die Rückkehr zum Sonntagsbraten statt der daily chicken wings, die Nutzung des Graslandes für Wiederkäuer und das Prinzip “Feed no Food” zukunftsweisende Wege sein könnten.
Ungeachtet dessen wurde eine Diskussion entfacht, die ein völlig falsches Bild von der Sendung, des Artikels und meine Aussagen zeichnete und falsche Zitate machten die Runde – ein klassisches Beispiel für die Entstehung von fake news. In Anbetracht einer Debatte um eine gefühlte oder empirisch nachvollziehbare Spaltung der Gesellschaft und einer Verrohung des Diskurses insbesondere auf Social Media, sollte uns daran gelegen sein, uns in unseren Diskussionen insbesondere im Internet auf Fakten zu beziehen und wo immer möglich Mechanismen einzubauen, die eine ungehemmte Verbreitung von Fake News unterbinden. Es gab eine Phase, als Twitter noch Twitter hiess und sich die Problematik zwar abzeichnete, nicht aber das aktuelle Ausmass angenommen hatte, in der man beim Teilen eines Artikels jeweils erinnert wurde: “Hast du den Artikel wirklich gelesen?”, was ich zwar für wenig zielführend, doch für einen guten Gedanken hielt.
Inzwischen ist X als Plattform zwar derart entgleist, dass es sich kaum noch lohnt, hier konstruktive Ideen anzubringen, aber für Medien und Online-Artikel möchte ich zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung vorschlagen:
Warum lässt man Online-Kommentierende nicht vor der Zulassung zur Kommentarspalte drei einfache Fragen zum Inhalt des Artikels beantworten? Keine elaborierten Detailfragen, sondern schlicht drei Fragen, deren Beantwortung unter Beweis stellt, dass der Kommentierende den Inhalt erfasst hat und nicht schlicht Fake News weiter teilt. Klar kann dann noch immer mutwillig Unsinn kommentiert und verbreitet werden, aber es bedarf dazu einer Lektüre des Artikels, wodurch mit Sicherheit allein aufgrund des Aufwandes ein Grossteil der 10-Sekunden-Fakenews Verbreitenden und Kommentierenden davon absehen würden. Auch wäre es eine spannende Aufwertung der Kommentarspalten, die ja durchaus auch eine deliberative Funktion haben und eigentlich eine spannende Diskussionsplattform darstellen könnten – wenn dann vermehrt über den Inhalt diskutiert werden würde. Und ein letzter Punkt, der primär den Moderator*innen der Kommentarspalten zu Gute käme: Durch die Verringerung der justiziablen Hate Speech Kommentare würde sich vermutlich auch der Moderationsaufwand erheblich verringern.
Das Einbauen dreier inhaltlicher Fragen dürfte daher den geringsten Stolperstein darstellen, wenn man tatsächlich eine inhaltliche Debatte befördern möchte und nicht insgeheim aufgrund der Klickzahlen auf eine möglichst entgleisende, polarisierte Empörungswelle hofft. Ich bin gespannt, ob dieser Vorschlag den Weg in Redaktionen finden wird – ich würde es mir wünschen – und auch, was eine mögliche Gegenargumentation sein könnte. Auf eine konstruktive Debatte!
Die letzten 10 Kolumnen von Meret Schneider
- Instagram – das Private ist noch politischer
- Bio 365 – mit Coop vom Regen in die Traufe
- Lieber Watch als Wissenschaft
- Bauer sucht Koch
- Frust und Freude beim Foodwaste
- Sessionserfolg und Ausblick
- Kein Krieg ist kein Privileg
- Reflektiert ist das neue Ironisch
- Für einmal Wutbürgerin
- Serendipität statt Algorithmen!