Meret Schneider: Transparenz bei den Pflanzenpatenten – und beim Lobbyismus

Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: zVg)

Ein Kugelschreiber von der Krankenkasse. Guetsli vom Gewerbeverband. Abendessen, Apéros, ausschliesslich riche, Jahresberichte aller kulturellen Institutionen inklusive Einladungen zu Jubiläen, Einweihungen, Würdigungen – als nationale Politikerin erhält man so manche Zuwendung, von der man sich oft fragt, wie man das denn verdient habe.

Natürlich sind diese Aufmerksamkeiten keine Gesten ohne Imperativ; die Charmeoffensiven sind zumeist verknüpft mit Hinweisen auf wichtige Sachgeschäfte, die Anlässe gehen nicht ohne viel politisches Networking vonstatten; es ist ein Geben und Nehmen, von dem im Idealfall beide Seiten profitieren. Schon oft war ich froh um Hinweise auf Details von Fachorganisationen, die mir in einem neuen Gesetz vielleicht gar nicht aufgefallen wären und die es dann zu bearbeiten galt. Gerade in meiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur war die Perspektive von Kulturschaffenden aus der Praxis oder Hinweise von Hochschulen in Bezug auf beispielsweise das ETH-Gesetz schon von grossem Wert.

Ich lese daher Empfehlungen, Lobbybriefe und wenn es die Kapazitäten ermöglichen, auch Jahresberichte stets mit Interesse, so auch vor dieser Herbstsession. Ein grüner Brief erreichte mich, die Sessionsinfo der Schweizer Agrarindustrie. “Für eine zukunftsgerichtete, nachhaltige Landwirtschaft” , lautete der Titel und mein da bereits zustimmendes Nicken entwickelte sich bei den folgenden Zwischentiteln “Widerstandsfähige, nachhaltige Ernährungssysteme”, “Nachhaltige Transformation” und “Effizienz und Ökologie fördern” zu einem still tosenden Applaus. Alles sinnvoll, alles Prioritäten und dies in meinem Herzthema Landwirtschaft, eine Organisation offenbar, mit der es sich zu vernetzen lohnt. Interessiert sprang ich zu den Abstimmungsempfehlungen und meine innere Standing Ovation verstummte jäh, als ich die Empfehlung “NEIN” zur Motion für mehr Transparenz bei den Patentrechten im Bereich Pflanzenzucht” las.

Diese Motion verlangt, dass die patentrechtlichen und – sofern notwendig – sortenschutzrechtlichen Grundlagen so anzupassen sind, dass im Bereich der Pflanzenzucht die Transparenz betreffend Patentrechte verbessert wird. In Anbetracht des Klimawandels und damit der zunehmenden Herausforderungen für die Landwirtschaft wird die Züchtung neuer Sorten, aber auch die Wiedereinbindung alter, vergessener Sorten bei der Sicherung der Ernährung in Zukunft eine Schlüsselrolle einnehmen. Interessanterweise erwähnt dies auch die “Schweizer Agrarindustrie” in ihrem freundlichen, grünen Brief. Auch da wird das Potenzial neuer Züchtungen explizit erwähnt, was mein Erstaunen bezüglich der Ablehnungsempfehlung der Motion noch einmal verstärkt. Die fehlende Transparenz hinsichtlich Pflanzenpatente ist nämlich für ZüchterInnen ein existenzielles Problem, da
heute nicht ersichtlich ist, ob eine bestimmte Sorte von Patenten betroffen ist.

Dank dem Züchterprivileg ist es zwar erlaubt, mit bestehenden Sorten weiter zu züchten, der Patentinhaber kann jedoch die Vermarktung der neuen Sorte verbieten oder an Lizenzgebühren knüpfen, ohne dass der Züchter im Vorfeld die Möglichkeit hat, dieses Wissen zu erwerben. Die Züchterinnen und Züchter tragen daher ein erhebliches Risiko für zeitliche und finanzielle Verluste, weil Züchtungen mit herkömmlichen Verfahren zehn Jahre dauern können. Für die Züchter ist es essenziell, vor einem langjährigen Zuchtversuch zu wissen, ob das verwendete Zuchtmaterial von Patenten betroffen ist oder nicht. Problematisch ist auch die fehlende Vermarktungsgewissheit. Züchterinnen und Züchter brauchen die Gewissheit, selber entwickelte neue Sorten auch vermarkten zu können. Ohne diese Gewissheit sind sie nicht bereit, moderne Sorten Dritter für ihre Weiterzucht zu verwenden, was sich negativ auf die Innovation und die Sortenvielfalt auswirken kann.

Selbst wer nicht mit dem Zuchtmaterial eines Patentinhabers arbeitet, muss oft befürchten, dass neue Sorten unbeabsichtigt in den Wirkungsbereich eines Patents hineingeraten könnten, da die Reichweite der Patente ungewiss sind. Vor allem bei ausländischen Firmen ist oft nicht klar, wie weit der Wirkungsbereich eines Patents geht. Rückfragen sind zwar möglich, aber die Auskünfte erfolgen nur auf freiwilliger Basis.

Pestizide statt Transparenz

Soweit, so klar, an der Annahme der Motion war sowohl für unsere Kommission, als auch für mich persönlich nicht zu zweifeln. Auch einige Bauern und Agrarspezialistinnen, die ich für die fachliche Einschätzung zu Rate zog, sahen in der Gewährleistung von Transparenz nur Vorteile für die Züchtung neuer Sorten und die Rechtssicherheit für innovative Bauern. Wen also, dachte ich mir, vertritt die Schweizer Agrarindustrie, wenn nicht die Bauern, Züchtenden oder Agrarspezialistinnen und wie kommt es zu dieser Abstimmungsempfehlung unter Titeln wie “Nachhaltige Ernährungssysteme”? Die Antwort war so einfach wie ernüchternd: die Schweizer Agrarindustrie setzt sich zusammen aus den Unternehmen BASF, Bayer, Leu&Gygax, Omya, Stähler und Syngenta, die primär im Bereich Pflanzenschutz aktiv sind. Auf deren Website findet man weiterhin heraus, dass sie Mitglieder des Schweizer Wirtschaftsverbandes Chemie Pharma Biotech sind und sich insbesondere für schnelle Zulassungsverfahren neuer Pestizide (sie nennen es Pflanzenschutzmittel) einsetzen. Dass deren Vorstellungen von nachhaltigen Ernährungssystemen von den meinen abweichen dürften, wird mir nun klar und auch deren Interesse an robusteren, alten Sorten, die mit weniger oder gar ohne Pflanzenschutzmittel auskommen, darf angezweifelt werden.

Der grüne Brief, das Narrativ der zukunftsgerichteten, nachhaltigen Landwirtschaft, das grüne Logo, das entfernt an die im ländlichen Raum bekannte und geliebte Landi erinnert – lauter Embleme, die eine Kulisse der landwirtschaftlichen Verwurzelung aufbauen, die mit der Realität der Agenda der erwähnten Konzerne so gar nichts zu tun hat und als ein Meisterstück des Lobbyings oder, wie es auf deren Website heisst, des “gesellschaftlichen Engagements” gelesen werden kann. Die Motion für mehr Transparenz, um hier den Kreis zu schliessen, wurde im Rat glücklicherweise angenommen und für Transparenz in Bezug auf Interessengruppen und deren Einwirken auf politische Entscheidungen werde ich hier in meiner Kolumne vermutlich noch mehrfach sorgen.


Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite


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