Meret Schneider: Veganuary und die Mühlen des Kapitalismus
Alle Jahre wieder folgt auf die obligate Böller-Debatte nahtlos der Veganuary-Disput und woran auch immer es uns in diesem von Sparen und Verzicht geprägten Januar mangeln wird – die Empörung wird es nicht sein. Hat man am familiären Weihnachtsfest die rhetorischen Klingen bereits gewetzt (Onkel Hans arbeitet bei Nestlé, Nichte Cornelia kommt später, weil noch auf der Strasse klebt und Cousin Franz erwägt den Kauf von Tesla-Aktien), kommen sie nun noch heiss glühend zum Einsatz: Veganuary – reines Greenwashing oder gute Aktion für einen erleichterten Einstieg in die pflanzliche Ernährung?
Und überhaupt Veganismus – ethische Form der Ernährung oder pseudoreligiöse Massenbewegung? Im Eifer des Gefechts werden gern richtige Positionen mit falschen Argumenten gestützt (ja, bei veganer Ernährung mangelt es nicht an Protein aber nein, Broccoli als Eiweissquelle ins Feld zu führen ist dennoch kein kluger Schachzug) und umgekehrt aus richtigen Prämissen falsche Schlüsse gezogen (ja, der Mensch isst schon seit Jahrhunderten Fleisch, aber daraus folgt nicht, dass wir das auch in Zukunft tun müssen, vor allem nicht in dem Ausmass) sodass ich mich aus der ganzen Debatte am liebsten einfach ausklinken würde.
Für mich ist der Veganuary ein willkommener Anlass, die genussvolle Opulenz der Gemüseküche zu zelebrieren und Menschen ohne Dogmatismus und moralinsaure Ansprachen dafür zu begeistern. Als Kind einer Zeit, in der man sich als vegane Person seinen Tofu in Reformhäusern holte, in denen es immer leicht nach parfümfreien Waschmitteln (danach wusste man, warum Parfüm zugesetzt wird), pestizidfreien Äpfeln und ungeschwefelten Trockenfrüchten aus fairem Anbau roch, und sich zum Triumvirat der Geschmacksneutralität neben dem Tofu möglicherweise noch Grünkern und irgendein Hefeaufstrich gesellte, freue ich mich selbstverständlich über die neue Vielfalt und das Angebot veganer Produkte.
So öffnete ich voller Vorfreude das Coop-Exramagazin zum Veganuary 2023. Bunt, hip, alles ein bisschen levante – die Lebensfreude sprang mir ins Gesicht, sodass ich das Heft in meinem alljährlichen Januarblues kurz wieder schliessen musste, um durchzuatmen und mich zu akklimatisieren. Beim zweiten Versuch nun liess ich mich leiten von Erfahrungsberichten, Motivationstexten teilnehmender Personen, hangelte mich von Anglizismus zu Anglizismus, von Produktneuheit zu Limited Edition und muss gestehen: die Mühlen des Kapitalismus mahlen offenbar schneller und effizienter als jene der Politik.
Während ich vor Jahren Initiativen lancierte für die Förderung der pflanzlichen Ernährung in städtischen Betrieben, wird hier die vegane Ernährung mit Pauken und Trompeten auf die Strasse getragen, dass das Startupherz – und auch jenes der Grosskonzerne, so diese eines besitzen – höher schlägt. Wo eine Nachfrage, da ein Angebot und wo ein Markt, da ein Produkt. Seien es vegane Burger, Käse, Aufstriche, Fertigprodukte – es gibt alles, mal aus mehr, mal aus weniger sinnvollen Zutaten und Inhaltsstoffen, aber das, seien wir ehrlich, ist bei tierischen Produkten nicht anders (wer zweifelt, gern einmal die Zutatenliste einer Cervelat lesen – wohl bekomms!).
Auch mit Rezepten wird man gut versorgt, vom Frühstück bis zum Mitternachtssnack. Und dieses Frühstücksmüsli des Anstosses war es denn auch, das mich zu dieser Kolumne und der folgenden Aktion bewogen hat.
Das Frühstücksmüsli beginnt mit selbstgemachtem Granola, enthält Kokosblütenzucker und Kokosöl, Kiwis, Kokosraspel und Kardamom. Ich weiss nicht, ob die Alliteration Grund für die Zutatenwahl war, aber dieses Bild der pflanzlichen Ernährung möchte ich ungern zementiert sehen. Mit solchen Rezepten giessen wir aus vollen Eimern Wasser auf die Mühlen jener Menschen, die denken, pflanzliche Ernährung gehe per Definition einher mit exotischen Zutaten, komplizierten Zubereitungen und industriell verarbeiteten Produkten – was ganz klar nicht der Fall ist.
Es gibt keinen Grund, auf Kokosblütenzucker, Kokosöl (ein ökologisch mehr als fragwürdiges Produkt), Dattelsüsse oder Superfoods zu setzen, nur weil man auf Tierprodukte verzichtet. Eine Zuckerrübe hat schliesslich keine Gefühle und es lebe das simple Confibrot – auch als Veganerin! Doch soll es nicht dabei bleiben, Nestlé-Burger und Kokosöl-Rezepte zu kritisieren, auch die Lebensmittelindustrie hat das Recht, die Welle der pflanzlichen Ernährung zu surfen, wenn sie heranrollt.
Ich setzte dem die vegane Tour de Uster entgegen: am 14. Januar zeige ich in einer Tour durch Uster auf, wie man sich genussvoll pflanzlich ernähren kann und dabei gleichzeitig die regionalen Bauern und lokales Gewerbe unterstützen kann – ohne Specials und teure Zutaten. Ganz besonders freuen mich die zwei Degustationsstationen, die wir besuchen werden: zum einen der Hello Vegan Laden mit allem was das vegane Herz begehrt und regionalem Gemüse vom Lebenshof Narr aus Hinteregg und zum anderen die Metzgerei Hotz. Ja, richtig gelesen, die besten pflanzlichen Burger, Spiesschen, Rüeblilachs und das weltbeste Geschnetzelte gibt es dort, wo das Handwerk jahrzehntelang Tradition hat, man sich der pflanzlichen Ernährung aber dennoch nicht verschliesst. Statt mit Wurstspiessen für Fleischbezeichnungen zu kämpfen (darf vegane Wurst Wurst heissen?) wird hier einfach direkt selber eine vegane Wurst und diverse andere vegane Alternativen angeboten, die nur einen Nachteil haben: sie werden einem an Silvester vom Tischgrill weggegessen – und zwar von den Fleisch essenden Freunden am Tisch. Ich freue mich schon jetzt auf die Tour und viele überraschte Pflanzenessende in der Metzg!
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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