Brüssel / London – In schier aussichtsloser politischer Lage hat die britische Premierministerin Theresa May am Dienstag versucht, der Europäischen Union neue Zugeständnisse beim Brexit abzuringen. Sie reiste dafür im Zickzack durch halb Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte aber nach ihrem Treffen mit May Nachverhandlungen zum Austrittsvertrag eine klare Absage, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Auch die EU lehnt das ab. Trotzdem hält Merkel eine Lösung nicht für ausgeschlossen.
May hatte wegen einer drohenden Niederlage die für Dienstagabend geplante Abstimmung im britischen Parlament über ihr Brexit-Vertragspaket mit der EU verschoben. Zum neuen Termin erklärte die britische Regierung nur, das Votum solle vor dem 21. Januar stattfinden. Zunächst will May weitere «Zusicherungen» von der EU erreichen, um so die Bedenken im Unterhaus auszuräumen.
Hauptstreitpunkt in Grossbritannien ist die von der EU verlangte Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Brexit-Befürworter befürchten, dass die im Austrittsvertrag vorgesehene Lösung Grossbritannien auf Dauer eng an die EU bindet. Sie wollen eine Befristung. Das hat die EU aber stets abgelehnt.
May reiste am Dienstag zunächst zum niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und traf dann Bundeskanzlerin Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin vor der Weiterreise zu EU-Ratschef Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach Brüssel.
Zentraler Knackpunkt Backstop
Merkel bestätigte nach dpa-Informationen in der Sitzung der Unionsfraktion, dass der Backstop der zentrale Knackpunkt sei. Es gehe nun darum, ob Grossbritannien mehr Sicherheit gegeben werden könne für den Fall, dass das Land länger in einer Zwischenphase stecke und wirtschaftspolitisch nicht handlungsfähig sei. Für diesen Fall suche May Unterstützung.
Für «Klarstellungen» zeigte sich auch Juncker offen. Der Kommissionschef schloss zwar eine Änderung des Austrittsvertrags und des Backstops ebenfalls aus. Doch sagte er im Europaparlament: «Es gibt genug Spielraum, um weitere Klarstellungen und weitere Interpretationen zu geben, ohne das Austrittsabkommen noch einmal aufzumachen.» Die EU könnte May nach Darstellung von Diplomaten in einer gesonderten Erklärung zusichern, dass man gemeinsam alles versuchen werde, den Backstop niemals anzuwenden.
Ob diese Notfalllösung gebraucht wird, hängt von den künftigen Beziehungen Grossbritanniens mit der EU ab. Diese sollen erst in einer Übergangsphase nach dem Austritt am 29. März 2019 ausgehandelt werden. Findet man eine Alternative für eine offene Grenze auf der irischen Insel, käme der Backstop nicht zum Tragen. Die EU wollte aber die Garantie unbedingt, weil die britischen Ideen zur künftigen Partnerschaft noch keine Lösung erkennen lassen.
Backstop kein «böser Trick der EU»
In der Debatte im Europaparlament äusserten sich Abgeordnete ungeduldig wegen der politischen Blockade in London. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok meinte aber, dass Mays Gespräche in Europa ihr womöglich doch noch zu einer Mehrheit im Unterhaus verhelfen könnten. Vielleicht könne man klarstellen, dass der Backstop kein «böser Trick der EU sei». Dennoch halte er einen harten Brexit ohne Deal zunehmend für wahrscheinlich. «Das Problem ist, dass wir in Grossbritannien keinen Partner haben», sagte Brok.
Auch Europastaatsminister Michael Roth warnte in Brüssel: «Die Zeit läuft aus. Das wissen alle Beteiligten.» Das britische Parlament werde bald Weihnachtspause machen und erst im Januar zurückkehren. «Wir müssen uns auf alles vorbereiten – nach wie vor auf einen harten Brexit, den am Ende ja niemand will», sagte der SPD-Politiker.
Die 27 bleibenden EU-Länder stehen allem Anschein nach geschlossen hinter der Linie der EU-Kommission, die das Verhandlungsmandat hat. Auch in der deutschen Innenpolitik herrscht vor allem Kopfschütteln über Grossbritannien. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff nannte die Lage dort im MDR «absurdes Theater». Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner sprach von «Brexit-Harakiri».
Die Wirtschaftsverbände BDI und DIHK wandten sich dagegen, das Brexit-Paket noch einmal aufzuschnüren. Der Präsident des Grosshandelsverbands BGA, Holger Bingmann, warnte aber im SWR vor einem «völlig ungeordneten Katastrophenszenario». Der europäische Wirtschaftsverband Business Europe klagte: «Jeder Tag der Unsicherheit kostet Unternehmen bares Geld.» Firmen bereiteten sich auf einen chaotischen Brexit vor. Doch sei Europa für ein No-Deal-Szenario nicht ausreichend gewappnet. (awp/mc/ps)