Inmitten der Volatilitätsphase vom Februar konzentrierten sich die meisten Gründe, die zur Erklärung der Aktienmarktrückgänge angeführt wurden, auf die Rolle von steigenden US-Anleihenrenditen und eventuell die übertriebene Rolle, die börsengehandelte Volatilitätsprodukte spielten.
Seitdem wiesen Aktien eine weitere (moderate) Schwächephase auf (wie unten in dem roten Kreis gezeigt), allerdings in einem Umfeld mit stabilen Renditen auf 10-jährige US-amerikanische Staatsanleihen und einer erkennbaren Abnahme der Inflationssorgen.
Die Marktkommentatoren mussten sich also eine andere Geschichte einfallen lassen, um solche Bewegungen zu erklären. Sie haben sich hauptsächlich auf Anzeichen schwächer werdender gesamtwirtschaftlicher Daten versteift (jedoch wurden im Rahmen von US-Zöllen die potenziellen Auswirkungen eines Handelskriegs zumindest erwähnt).
Solche kurzfristigen Kursbewegungen sind normalerweise kaum mehr als Schwankungen und schwer zu begründen. Ein interessanter Versuch, diese Bewegungen zu erklären, war die Verwendung der Citigroup Economic Surprise Indizes.
Überraschungsindizes beziehen sich auf die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Daten im Verhältnis zu den Erwartungen und sind aus verschiedenen Gründen hilfreich. Erstens bieten sie die Möglichkeit, eine große Datenmenge auf einmal zu betrachten. Zweitens, was noch wichtiger ist, bestätigen sie, dass für die Märkte häufig das Liefern von Fakten im Verhältnis zu den Erwartungen relevant ist und nicht die eigentlichen Zahlen und ihr Niveau.
Tatsächlich gingen diese Indizes in einigen Volkswirtschaften zurück, insbesondere in Japan und Europa, wo die Indizes derzeit im negativen Bereich liegen, was auf enttäuschte Erwartungen hinweist.
Auch wenn solche Kennzahlen Informationsgehalt haben, sollten wir ihre Bedeutung nicht überbewerten. Dies gilt ohnehin immer im Hinblick auf eine einzelne Variable, aber auch Überraschungsindizes weisen einige Eigenschaften auf, die berücksichtigt werden müssen.
Der Index wurde nicht für diesen Zweck konzipiert
Die Citigroup Economic Surprise Indizes (CESIs) wurden ursprünglich für den Nachweis von Handelssignalen für Währungsbewegungen über sehr kurze Zeiträume konzipiert (ursprünglich über einen Zeitraum von nur einer Minute). Wir haben die Indizes zur Erklärung von langfristigen Veränderungen des Kassakurses von Devisen herangezogen (vor allem hier und hier in Beiträgen, die angesichts der jüngsten Bewegungen des US-Dollars immer noch relevant erscheinen).
Die verschiedenen Datenpunkte, aus denen sich der Index zusammensetzt (wie Beschäftigungszahlen oder die Industrieproduktion), wurden entsprechend der Tatsache gewichtet, mit welchem Grad an Überraschung bei jedem Datenpunkt Währungsbewegungen über solche kurzen Zeiträume bisher (grösstenteils in dem Zeitraum seit 1998) beeinflusst wurden.
Leider verändern sich im Laufe der Zeit die gesamtwirtschaftlichen Variablen, die für Anleger wichtig sind: die Handelsbilanzen der USA waren einmal die wichtigste Größe für die Märkte, heute wird hauptsächlich auf die Anzeichen einer Lohninflation geachtet. Es gibt sogar erhebliche Phasen, in denen Anleger fast gar nicht auf gesamtwirtschaftliche Daten schauen (beispielsweise in Zeiten mit geopolitischem Stress oder wenn die Entwicklung von Unternehmen von der Wirtschaft abgekoppelt ist).
Die Verlagerung der Aufmerksamkeit der Anleger ist genau der Grund, weshalb die Auswirkungen auf den Kurs für die Bestimmung der Indexgewichtungen herangezogen wurden und weshalb sich diese Gewichtungen im Laufe der Zeit verändern (sie werden jährlich überprüft). Ab diesem Monat beinhaltet der US CESI in der Reihe der 32 veröffentlichten Daten zur Berechnung des Index beispielsweise nicht mehr die Arbeitslosenquote oder Frühindikatoren.
Es gibt sehr gute Gründe dafür, weshalb die Variablen, die für die Devisenmärkte über sehr kurze Zeiträume interessant sind, dieselben sind, die für andere Vermögenswerte wichtig sind, aber dies wird nicht immer der Fall sein. Demnach ist die Erkenntnis, dass CESIs lediglich einen geringen Zusammenhang mit Aktienkursentwicklungen aufweisen, vermutlich wenig überraschend. Dafür waren sie nie vorgesehen.
Inhärente Tendenz zur Mittelwertrückkehr: Bei der Indexzusammenstellung und beim menschlichen Prognostizieren
Ein weiteres Merkmal der CESIs, aufgrund dessen sie weniger geeignet für Schlussfolgerungen über die langfristigen Perspektiven vieler Vermögenswerte sind, ist ihre natürliche Tendenz zur Mittelwertrückkehr. Es handelt sich dabei um eine gewollte Eigenschaft des Index: Echte „Überraschungen“ können gleichermaßen positiv als auch negativ sein. Das bedeutet, dass man auf lange Sicht davon ausgehen kann, dass die durchschnittliche wirtschaftliche Überraschung Null ist.
CESIs messen die Daten der vergangenen drei Monate im Verhältnis zu den Median-Erwartungen. Sie verwenden darüber hinaus einen Dämpfungsfaktor, so dass eine große Überraschung heute den Index stärker beeinflusst als dieselbe große Überraschung vor drei Monaten. Alleine diese Eigenschaft deutet darauf hin, dass auf extreme Niveaus bei einem CESI zwangsläufig ein Rückgang folgt, was wir in der längerfristigen Historie der Datenreihe auch sehen können.
Zusätzlich dazu können wir eine verhaltensbezogene Kategorisierung darüber einfließen lassen, wie Ökonomen Prognosen erstellen. Der Mensch aktualisiert seine vorgegebenen Überzeugungen angesichts neuer Informationen. Wird ein Wirtschaftswissenschaftler, der der Überzeugung ist, dass wir uns in einem Umfeld mit niedriger Inflation befinden, wiederholt von höheren Inflationsdaten überrascht, sollte man davon ausgehen, dass er seine Inflationserwartungen letzten Endes nach oben korrigiert.
Verhaltensbezogene Neigungen könnten die Tendenzen zur Mittelwertrückkehr, die dem Index innewohnen, stärker zur Geltung bringen. Der Ankereffekt kann langsame Reaktionen auf ursprüngliche Überraschungen zur Folge haben, während nach einer längeren Phase mit Überraschungen die Tendenz vorhanden ist, im Zuge der Aktualisierung unserer Überzeugungen Trends zu extrapolieren. Ein Herdenverhalten würde diese Kräfte auf übergeordneter Ebene nur verstärken.
Fazit
Es ist absolut korrekt, dass fundamentale Entwicklungen im Verhältnis zu den vorherigen Erwartungen der Anleger betrachtet werden müssen, wenn wir deren Auswirkungen auf die Asset-Preise beurteilen wollen. Eine Vielzahl an Aspekten in der Zusammenstellung der CESIs legen jedoch nahe, dass sie in dieser Hinsicht nicht immer auf die relevantesten Kräfte zugreifen. Darüber hinaus erfassen diese Indizes alleine nicht den Unterschied zwischen Daten, die insgesamt zwar besser werden, aber nicht in dem Ausmass wie erwartet, und Daten, die sich stärker als angenommen verschlechtern. Wenn gesamtwirtschaftliche und Gewinndaten sehr enttäuschend ausfallen, können wir letztendlich von fallenden Aktienkursen ausgehen. In solchen Fällen ist es allerdings unwahrscheinlich, dass uns die CESIs Aufschluss über etwas geben, das wir nicht schon wissen.
Letztes Jahr im Mai warnte Citigroup selbst vor einer fälschlichen Verwendung der CESIs. Allerdings ist die Versuchung sehr gross, eine Kennzahl mit einem bestimmten Informationsgehalt heranzuziehen und ihre Bedeutung überzubewerten, wie es auch bei der Sharpe-Ratio (und der Volatilität an sich) der Fall ist. (M&G/mc)