London – Die britische Premierministerin Theresa May steht seit ihrer misslungenen Parteitagsrede in Manchester zunehmend unter Druck. Medien spekulierten am Donnerstag heftig über einen baldigen Rücktritt der Regierungschefin. Etwa 30 konservative Abgeordnete seien bereit, einen Misstrauensantrag in der Fraktion zu unterschreiben, berichtete der «Daily Telegraph». Nötig dafür wäre die Unterstützung von 48 Fraktionsmitgliedern.
Doch Minister stellten sich am Tag nach der Rede demonstrativ hinter May. Die Premierministerin werde ihre «ausgezeichnete Arbeit» fortführen, sagte Innenministerin Amber Rudd am Donnerstag Reportern.
Der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge erhielt May Anrufe von mehreren Regierungsmitgliedern, die ihr Unterstützung zusicherten. Die BBC erfuhr aus dem Umfeld von May, sie schliesse einen Rücktritt aus. Der Regierungssitz Downing Street wollte die Berichte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht kommentieren.
Die Rede am Mittwoch wurde von Medien als «Alptraum» beschreiben. Mitten in der Ansprache wurde May von einem Komiker unterbrochen, der ihr – angeblich im Auftrag des Aussenministers Boris Johnson – ein Entlassungsschreiben aushändigte. Danach versagte mehrmals ihre Stimme. Sie litt unter Hustenanfällen. Beinahe, so schien es, hätte sie die Rede abbrechen müssen. Zu allem Übel fielen dann auch noch Buchstaben aus dem Parteitagsmotto an der Wand hinter ihr. Als es vorbei war, kämpfte sie mit den Tränen. Ihr Ehemann Philip eilte auf die Bühne, um sie in den Arm zu nehmen.
Vergeblicher Versuch die Autorität wiederherzustellen
Eigentlich wollte May mit der Rede ihre Autorität wiederherstellen. Die war schwer angekratzt, nachdem sie ohne Not eine Parlamentswahl für Juni ausgerufen hatte, bei der ihre Partei die absolute Mehrheit im Unterhaus verlor.
Menschen, die sie aus der Nähe beobachten konnten, beschreiben May als schwach und ohne Selbstbewusstsein. Vielleicht deshalb versuchte sie im Wahlkampf möglichst hart und kompromisslos aufzutreten, doch das liess sie als kalt und mechanisch erscheinen. Unermüdlich wiederholte sie Sätze wie «Brexit bedeutet Brexit» und «Grossbritannien braucht eine starke und stabile Führung». Bald hatte sie Spitznamen weg wie «Ice Maiden» – die Eisjungfrau und «Maybot» – eine Mischung aus May und Roboter.
Mays Unfähigkeit, mit unvorhergesehenen Lagen umzugehen und spontan mit Menschen zu kommunizieren, wurde nach der Brandkatastrophe vom Grenfell-Tower Mitte Juni deutlich. Etwa 80 Menschen starben in dem verheerenden Hochhausbrand in London. Der Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn war schnell vor Ort und spendete Trost, umarmte trauernde Menschen und versprach Aufklärung. May dagegen vermied ein Treffen mit Überlebenden und sprach stattdessen mit Rettungskräften. Erst nach massiver öffentlicher Kritik besuchte sie ehemalige Bewohner des Hochhauses im Krankenhaus.
Das Ergebnis bei der Wahl Ende Juni war niederschmetternd. Anstatt den erhofften Erdrutschsieg einzufahren, verloren die Konservativen ihre Mehrheit im Unterhaus. May musste eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der erzkonservativen nordirischen DUP (Democratic Unionist Party) zusammenzimmern. Problematisch daran war nicht nur, dass sie den Nordiren eine Milliarde Pfund (1,1 Milliarden Euro) versprechen musste, sondern auch, dass sich die Regierung in London von einer der Parteien im verfahrenen Streit um eine nordirische Regionalregierung abhängig machte.
Konservative präsentieren sich in schlechtem Licht
In ihrer Parteitagsrede entschuldigte sie sich für die Schlappe. Sie gestand, der Wahlkampf sei zu sehr «nach Drehbuch und präsidentiell geführt worden». Doch das war nach den Missgeschicken während der Ansprache nur noch eine Randnotiz. Insgesamt war Mays «Alptraumrede» nur der Gipfel eines Parteitags, auf dem sich die britischen Konservativen in schlechtem Licht präsentierten. Was zu einer Demonstration der Einigkeit werden sollte, wurde von Spekulationen über Johnsons Ambitionen überschattet. Der Aussenminister hatte die Premierministerin mehrfach mit eigenen Vorschlägen zum EU-Austritt düpiert und zudem mit taktlosen Bemerkungen zu Libyen für einen Eklat gesorgt.
Ob es die Konservativen tatsächlich wagen, May aus dem Amt zu drängen, bleibt abzusehen. Kommentatoren zufolge könnte die Angst vor Neuwahlen samt einem möglichen Labour-Sieg den Unmut gegen May überwiegen. (awp/mc/ps)