Basel – Die Solidarität unter den Menschen war während der Corona-Pandemie gross, insbesondere am Anfang. Forschende an der Universität Basel haben untersucht, wie die Fall- und Todeszahlen die Freiwilligenarbeit beeinflussten. Aus den Ergebnissen könnten die Behörden Lehren für die Bewältigung künftiger Krisen ziehen.
Die Corona-Pandemie zeigte: Wenn es darauf ankommt, unterstützen sich die Menschen gegenseitig. So entstanden viele Angebote, um insbesondere ältere und vulnerable Personen zu schützen. Die Detailhändlerin Migros und Pro Senectute entwickelten gemeinsam die App Amigos, über die man Einkaufslieferungen anfragen konnte, die Freiwillige erledigten.
Doch die Hilfsbereitschaft hatte Grenzen. Das zeigt eine Studie von Forschenden am Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel. Sie haben die anonymisierten Daten dieser App mit den Corona-Statistiken des Bundesamts für Gesundheit verglichen. So konnten sie sehen, wie die Fallzahlen die Freiwilligenarbeit beeinflussten. Die Erkenntnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin «Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly».
Solidarität ja, aber ohne Risiko
Der Vergleich der beiden Datensätze zeigt, dass das freiwillige Engagement mit dem Anstieg der Todeszahlen zunahm. Allerdings flachte dieser positive Effekt deutlich ab, je mehr Todesfälle registriert wurden. «Wir gehen davon aus, dass sich die Freiwilligen dann einem höheren Risiko ausgesetzt sahen, selber zu erkranken. Um sich zu schützen, vermieden sie den Kontakt zu anderen», sagt Dominik Meier, Doktorand am CEPS und Erstautor der Studie.
Ein Blick auf die Statistiken zur Spendebereitschaft während der Pandemie stützt diese Vermutung: Hier zeigt sich ein linearer Effekt; je höher die Fallzahlen, desto mehr spendeten die Leute – unabhängig von den Todeszahlen. «Das mag daran liegen, dass sich finanzielle Transaktionen auch von zu Hause aus erledigen lassen, ohne dass man sich einem höheren Infektionsrisiko aussetzt», so Meier.
Objektive Daten, die eine Entwicklung zeigen
Dass nach Katastrophen viele Freiwillige ihre Hilfe anbieten, zeigt sich aus anderen Untersuchungen, zum Beispiel nach einem Erdbeben in Japan. Die meisten Erhebungen zu freiwilligem Engagement sind allerdings Querschnittstudien, die mittels Fragebogen durchgeführt werden, weiss Dominik Meier. «Bei der Beantwortung der Fragen kann der Effekt der sozialen Erwünschtheit mitspielen. Dieser bewirkt, dass sich die Befragten engagierter darstellen als sie tatsächlich sind.»
Die Vorteile seiner Studie sieht er darin, dass einerseits neutrale und damit objektivere Daten ausgewertet wurden, andererseits handelt es sich um eine Längsschnittstudie, die eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum zeigt.
Der Psychologe bezeichnet die App Amigos als Erfolg. Über einen Zeitraum von gut einem Jahr registrierten sich knapp 27’000 Freiwillige auf der Plattform und übernahmen rund 80’000 Einkaufslieferungen. Während der ersten Welle im Frühjahr 2020 war die Anzahl der über die App registrierten Einkäufe am höchsten. Auch in der zweiten und dritten Welle gab es einen leichten Anstieg der Anmeldungen. Über die gesamte Zeit gesehen wurden 90 Prozent der Bestellungen auch geliefert.
Vorbild für künftige Krisen
Das Beispiel zeigt, wie schnell mit einem digitalen Angebot Helferinnen und Helfer mobilisiert werden können. «Das kann als Vorbild dienen für künftige Katastrophen, nicht nur gesundheitlicher Natur, sondern auch bei Erdbeben oder Überschwemmungen», sagt Dominik Meier. Die Erfahrungen aus verschiedenen Krisensituationen zeigten, dass die Menschen dann gerne helfen wollen und es tendenziell gar ein Überangebot von Freiwilligen gibt. «Die Herausforderung liegt dann darin, zu koordinieren und die Aufgaben zu verteilen. Auch hierbei kann eine App hilfreich sein.»
Das Beispiel «Amigos» zeigt laut Dominik Meier auch auf, dass sich freiwilliges Engagement und professionelle Hilfsangebote zwar bis zu einem gewissen Grad ergänzen, aber nicht ersetzen können. «Besonders am Anfang einer Krise funktioniert diese Ergänzung nach unseren Erkenntnissen gut; also genau dann, wenn wahrscheinlich noch ein Unterangebot an professioneller Hilfe besteht.» Die Behörden müssten aber einbeziehen , dass sich das freiwillige Engagement im Laufe einer Krise abschwächt. Dann braucht es Angebote von offizieller Seite, um eine Unterversorgung zu vermeiden. «Ausserdem zeigen die Ergebnisse, dass Behörden freiwilligen Helferinnen und Helfern nur ein begrenztes Risiko zumuten sollten, dass sie im Rahmen ihrer Hilfeleistung selber Schaden nehmen. Falls ein Restrisiko bleibt, sollten die Behörden kommunizieren, wie sich dieses minimieren lässt, indem Helfende zum Beispiel eine FFP-2-Maske tragen. (Uni Basel/mc)