Oliver Fiechter und Helmuth Fuchs werfen einmal pro Woche Fragen auf und suchen Antworten zu Themen der digitalen Transformation und Ökonomie 3.0.
Helmuth Fuchs: Forschungen, zum Beispiel der ETH Zürich, haben aufgezeigt, dass eine Gruppe von ca. 150 Konzernen die Weltwirtschaft maßgeblich kontrolliert. Die USA haben mit einem Bundesgerichtsentscheid den Unternehmen erlaubt, durch unbegrenzte Wahlkampfspenden direkt Einfluss auf Wahlen zu nehmen. Wie kann diese Machtballung durch die Digitale Transformation wieder ausbalanciert und die Mehrheit der Menschheit besser eingebunden werden.
Oliver Fiechter: Die neuen Möglichkeiten der Vernetzung verändern die Bedeutung von bestehenden Machtstrukturen. Die digitale Transformation bringt neue Spielregeln und schafft dadurch auch neue Gewinner und neue Verlierer. Die alte Gesellschaftsordnung zeichnet sich durch die Zentralisierung von Macht und Ressourcen aus; Systeme werden zentral gesteuert. Die neue Gesellschaftsordnung wird dezentral organisiert sein, das Internet wird bei dieser Neuorganisation einen entscheidende Rolle spielen.
«Die digitale Transformation bringt neue Spielregeln und schafft dadurch auch neue Gewinner und neue Verlierer.»
Ist es nicht naiv zu glauben, dass die Mächtigen das einfach so zulassen werden?
Tatsächlich werden die Mächtigen alles daran setzen, die alten Spielregeln zu zementieren und die Entwicklung von neuen Spielregeln zu verhindern. Transparenz und Dezentralisierung sollen gar nicht erst entstehen können. Den Mächtigen steht ein Waffenarsenal an Möglichkeiten zur Verfügung, um die neue Gesellschaftsordnung aufzuhalten. Die Vertreter der Zentralisierung und die Vertreter der Dezentralisierung liefern sich einen Kampf um die richtige Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ich persönlich bin aber überzeugt, dass sich die Dezentralisierung durchsetzen wird.
«Der Erfolg der Mächtigen beruht im Wesentlichen auf der Fähigkeit zur Effizienz. Die Erfolgsmaxime lautete: Minimiere den Input und maximiere den Output.»
Weshalb sind Sie sich da so sicher?
Der Erfolg der Mächtigen beruht im Wesentlichen auf der Fähigkeit zur Effizienz. Die Erfolgsmaxime lautete: Minimiere den Input und maximiere den Output. Die Fähigkeit zur Effizienz bildete die Grundlage von Wachstum und Macht. Je grösser das System wird, desto effizienter kann es produzieren, desto tiefer werden die Produktionspreise, desto mehr Kunden können befriedigt werden, desto grösser wird die Marktmacht und damit die Möglichkeit, die Konventionen des wirtschaftlichen Systems zu beeinflussen. Heute geht es aber in den zivilisierten westlichen Ländern resp. Volkswirtschaften nicht mehr darum, Knappheiten zu beseitigen, sondern Überfluss zu bewältigen. Das heisst, dass die beste Waffe der Mächtigen, die Effizienz, ihre Wirkungskraft verlieren wird.
«Die Wohlstandsgläubigkeit und die Jagd nach mehr Lebensstandard weicht immer mehr die Suche nach mehr Lebensqualität.»
Wir haben unseren hohen Wohlstandsgewinn im 20. Jahrhundert der Effizienz zu verdanken. Wieso sollen sich die Menschen davon abwenden?
Die Effizienz hat wohl zu Wohlstand aber auch zur Macht- und Ressourcenkonzentration geführt. Das System der Effizienz funktioniert nach dem Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Heute besitzt ein Prozent der Weltbevölkerung 40 Prozent des weltweiten Reichtums. Immer mehr Menschen empfinden diesen Umstand zunehmend als ungerecht und protestieren dagegen. Diese Proteste werden mit Hilfe des Internets weltweit koordiniert und gesteuert. Dazu kommt, dass den Menschen immer mehr klar wird, dass es in einer ressourcentechnisch begrenzten Welt kein unbegrenztes Wirtschaftswachstum geben kann. Die Wohlstandsgläubigkeit und die Jagd nach mehr Lebensstandard weichen immer mehr der Suche nach mehr Lebensqualität. Das Internet wird uns helfen, unsere Bedürfnisse, unsere Werte und Präferenzen mit der entsprechenden Wertschöpfung zu synchronisieren. Das geschieht heute bereits auf zahlreichen Plattformen, nur noch recht primitiv, aber das Netz wird uns unterstützen, das Paradigma der Effizienz durch das Paradigma der Effektivität abzulösen.